Das ist jetzt der vierte Teil meiner Kolumne und ich frage mich gerade, ob wir uns eigentlich schon das Du angeboten haben. Man duzt sich, wenn man die gleiche Rolle in einer Interessengemeinschaft (Peer) einnimmt. Man siezt sich, um Distanz zu wahren und die Grenze klarzumachen. „Hey, ich bin einer von euch“, will ich den jungen Pumpern zurufen, aber da höre ich nur, „Brauchen Sie die 5-Kilo-Scheibe noch?“, und ich fühle mich wieder ein bisschen mehr tot. Wo ich doch beim Sport so oft hören musste, dass sich da alle duzen, so als Gleichgesinnte und so. War mir ehrlich gesagt mit 17 im Hockeyverein auch nicht immer recht, dass die Erwachsenen – also die mit Berufen und Familien – irgendwie in meinen Raum eingedrungen sind, ohne sich wirklich für mich zu interessieren. Gott, hat das genervt, dass die ständig meine Frisuren und Klamotten oder meine Sprache kommentiert haben. Mehr fiel ihnen nicht ein. Schon da habe ich gemerkt, dass man mit Desinteresse keine vernünftige Beziehung aufbauen kann. Gleichzeitig habe ich immer wieder Erwachsene kennengelernt, wo es anders war, bei denen ich echtes Interesse an meinen Weltsichten gespürt habe. Und ich bin mir gnadenlos sicher, dass sich nur so Bildung vollziehen kann. Genau darum soll es hier auch gehen: Nur mit Interesse an jungen Menschen kann Bildung im Sport gelingen. Und was Interesse heißt, will ich zunächst mal am Beispiel des Umgangs mit Kindern veranschaulichen, um dann in den Bereich der Jugend vorzudringen, wo wir mal eine andere Grundhaltung einüben werden. Diese: Die Jugendlichen haben recht!
Nur mit Interesse an jungen Menschen kann Bildung im Sport gelingen.
Bindel, 2022
Für Sport und Sportunterricht wird das zu ein paar wesentlichen Schlüssen führen und man kann eine Empfehlung für den Beruf der Sportlehrkraft ableiten: Interessiert euch für die Welt aus der Sicht von jungen Menschen oder kündigt – am besten schon morgen. Für ein paar von euch wird es nicht angenehm. Und damit sind zum Beispiel die gemeint, die mir immer noch stolz ihr Nokia-Handy unter die Nase halten, weil telefonieren angeblich reicht.
Den Artikel kannst du hier, für deine Sammlung, als PDF Datei runterladen – liest sich toll.
Bindel T. (2022) Interessiert euch... als PDF downloadenNicht alles, was Kinder vorzeigen, ist toll!
Beobachtung 1: Das Kind kommt aus dem Kindergarten und bringt ein absolut furchtbares Bild mit. Menschen ohne Körper, nicht fertig gemalt, hingerotzt.
Beobachtung 2: Das Kind kommt aus dem Kindergarten und bringt eine fantastisch getöpferte Schnecke mit. Liebevoll koloriert und mit einem skulpturalen Gesichtsausdruck, wie nur Kinder ihn hinbekommen.
Die Reaktion der Erziehungsberechtigten? In beiden Fällen gleich: „Toll!“ Was soll das Beispiel zeigen? Ich nenne es positives Desinteresse. Weder Prozess noch Produkt werden kommentiert, allein der Fakt, dass das Kind irgendwas gemacht hat, was nicht nervt, gibt 100 Punkte. Ja, aber was heißt das denn für das Kind? Die Großen finden alles toll? Das gibt wenig Orientierung in der Welt. Echtes Interesse an dem Kind, dem Prozess, dem Produkt und der geteilten Welt ist gefragt. Ich weiß schon, dass das im stressigen Alltag nicht immer geht. Aber es ist dennoch auf Dauer der Schlüssel für eine ehrliche Beziehung und damit auch für Bildung und Erziehung, die ja nicht nur in der Schule stattfinden.
Es geht darum, das zarte Band der Generationenbeziehung Stunde für Stunde zu fühlen und zu festigen – das Gemeinsame zu thematisieren.
Bindel, 2022
Wie kann das am Beispiel unseres Gegenstandes – dem Sport – aussehen? Kinder machen ständig was vor, sie hüpfen, werfen was hoch und weg und drehen sich, machen Grimassen, springen irgendwo drauf, manche kicken Bälle, andere rollen mit dem Skateboard, etc. Was kann man dazu sagen außer „Toll!“ oder „Hör auf!“? Ich versuche es mal mit einer Antwort: Das könnte doch vielleicht ablaufen, wie in einer Peerbeziehung, denn mit unseren Kindern sind wir doch sozusagen in einer Lebens-Peer, in der man sich füreinander interessiert. Man schaut sich an, was gemacht wird, fragt vielleicht nach dem Sinn, nach der Genese, bewertet es aus seiner Perspektive, verweist auf ähnliche Erfahrungen, macht selber was vor, oder entwickelt es gemeinsam weiter, oder lässt es so stehen … Man lässt sich jedenfalls ein und bezieht sich aufeinander. Und wir dürfen auch mal was nicht gelungen finden, wenn es nach den Maßstäben des Kindes – oder auch mal nach unseren – vielleicht besser gegangen wäre. Nicht alles müssen wir toll finden. Wir dürfen auch mal auf den Tisch hauen, wenn die Mozartsonate verkackt wurde. Spaß. Ihr wisst, wie es gemeint ist. Und dann können wir vielleicht dabei helfen, zu malen, zu springen, zu tanzen oder den Korb mit einem Ball zu treffen. Dieser Akt ungezwungener und reflektierter Aushandlung ist der Auftakt für Bildung auf beiden Seiten – ein zartes Band, das zwischen den Generationen gespannt wird, durch welches wir als Erwachsene Verlerntes und Verstelltes zurückbekommen können und gegen Tradiertes eintauschen dürfen. Das macht Kinder groß und hält Erwachsene jung. Das hab‘ ich doch schön gesagt.
Aber was kann die Sportlehrkraft der Grundschule jetzt damit anfangen, die eine Lebens-Peer gleich mit mehreren hundert Kindern führen muss? Eben sich für Kinder interessieren, sich auf das potentiell unendliche Feld des Bewegens und Spielens einlassen und gleichzeitig die Traditionen unserer Kultur – des Sports – ins Spiel bringen. Das ist weder eine autoritäre Einbahnstraße (wie bei der Mozartsonate) noch positives Desinteresse (wie bei der getöpferten Schnecke). Es geht darum, das zarte Band der Generationenbeziehung Stunde für Stunde zu fühlen und zu festigen – das Gemeinsame zu thematisieren. Wer sowohl Lust auf Kinder, als auch Lust auf Sport hat und wer gut ausgebildet ist, dem wird das sicher gelingen. Auf WIMASU findet ihr tolle Beispiele (Anm. d. Redaktion: Wir geben uns Mühe *hüstel*).
Die Jugendlichen haben Recht und DU hast Angst davor!
Und jetzt kommen wir zur Jugendphase. Ich fange wieder mit eigenen Erfahrungen an. Diesmal wird nichts vorgezeigt, denn Jugendlichen wird im Allgemeinen nachgesagt, dass sie etwas scheu sind. Das trifft ja nicht auf alle zu. Im Unterricht kann man aber bemerken, wie ab der achten Klasse der Rückzug beginnt. „Wer möchte denn mal seinen Aufsatz vorlesen? … Ah, okay, keiner.“ Auch auf dem Schulhof läuft jetzt vieles verdeckt ab. Aber natürlich wissen wir, was Jugendliche tun. Ständig wird darüber gesprochen unter Eltern: „Meiner hängt nur noch vor‘m Handy rum.“ „Die ist nur noch auf TikTok.“ „Denkst du, der würde mal ein Buch lesen? Nur am Zocken!“ „Es kann ja keiner mehr einen vernünftigen Satz bilden.“ Wenn man genauer zuhört oder nachfragt, bekommt man eine leise Ahnung davon, dass die meisten fast nichts wissen, von dem was „die“ da machen und trotzdem fast alles mal generell schlecht finden. Das nenne ich negatives Desinteresse. Jetzt könnte man philosophieren, warum viele Eltern bei Kindern alles gut und bei Jugendlichen alles schlecht finden. Vielleicht hängt das ja zusammen? Denn unabhängig vom Alter ist gegenseitiges Interesse die Grundvoraussetzung einer Beziehung und damit auch für Bildung und Erziehung. Ich will hier noch etwas radikaler vorgehen und muss es daher theatralisch überzeichnen, damit es wirklich deutlich wird: Die Jugendlichen haben Recht mit dem, was sie tun und lassen! Wir sind es, die festhalten wollen, an dem, was wir selbst erlebt haben und für richtig hielten. Und wir machen das aus Angst vor Veränderung und davor, dass wir falsch lagen und damit jetzt auch irgendwie falsch sind. Wir haben Angst vor einem potentiell besseren Ich und die Jugend zeigt uns das. Ich möchte das beweisen. Der erste Schritt meiner Beweisführung ist die Nullhypothese.
Frage:
Welche YouTuber sind denn gerade so interessant für Jugendliche?
Nichts?
Welche Netflix-Serien schauen sie?
Nichts?
Was wird auf YouTube denn so angeklickt? Was trendet? Was slayt?
Nichts?
Okay. Wer also hier gar nichts weiß, der muss erst einmal sehr zurückhaltend sein mit seinen Bewertungen. Bei der Gelegenheit: Keine Jugendliche und kein Jugendlicher nutzt Facebook.
Die Jugendlichen haben Recht mit dem, was sie tun und lassen! Wir sind es, die festhalten wollen, an dem, was wir selbst erlebt haben und für richtig hielten.
Bindel, 2022
Tausche Jugend 1990 gegen Jugend 2020
Ich bin wirklich kein Jugendlicher, ich will auch keiner sein, aber ich ergreife mal Partei, denn ich war mal ein Jugendlicher und ich würde gerne meine 1990er-Jugend gegen die 2020er-Jugend eintauschen. Ich hatte alles, konnte alles machen und war so happy und so sad wie die meisten anderen Jugendlichen. Ich war in Sportvereinen, in Musikschulen, habe Mädchen kennengelernt und so und bin dann halt da irgendwann weg. Ich hab’ Musik gehört und Filme geguckt. Alles gut.
Erst mit der eigenen Tochter checke ich, was das alles für ein konservativer und exklusiver Laden war, den viele dann schlichtweg für die einzig reale Welt gehalten haben und dies immer noch tun. Und jetzt kommt der erste dicke Support für das Leben der Jugendlichen von heute:
Viele aktuellen Unterhaltungsmedien sind wahnsinnig gut! Diversität spielt endlich eine Rolle. Mädchen sind Protagonistinnen, viele von ihnen. Nicht-Weiße sind Protagonisten. Sexuelle Orientierungen werden in ihrer Komplexität sensibel dargestellt. Identitäten werden abseits heteronormativer Darstellungen behandelt. Behinderungen spielen plötzlich eine Rolle. Endlich können Menschen, die keine Normalos sind, repräsentative Figuren sehen: Ein muslimisches Mädchen als Superheldin, ein lesbisches Mädchen als Protagonistin eines Konsolenspiels. Kulturelle Aneignung wird ebenso diskutiert wie das Recht von Frauen, den Oberkörper nicht verhüllen zu müssen oder eine gendergerechte Sprache. Die Menstruation ist kein Tabuthema mehr und meine Tochter lernt viele Dinge, die ich nicht lernen durfte. Was würde ich darum geben, jetzt jugendlich zu sein und all das erleben zu dürfen – die ganze Welt, so wie sie ist, mit allen Räumen, die ich nie zu Gesicht bekommen habe.
Eine ganze Frauengeneration musste es erdulden in Hörspielen, Filmen, Serien fast immer nur Jungs zu hören und zu sehen, wie sie die Welt regeln.
Bindel, 2022
Damals hat man sich über Homosexualität einfach nur lustig gemacht. Wo waren denn Menschen mit Migrationsgeschichte, selbstbewusste und starke Frauen, die nicht auch Lustobjekt sein mussten? Wo waren in meiner Jugend behinderte und benachteiligte Menschen? Wer wäre ich geworden, hätte man das alles nicht vor mir versteckt in einer konservativen Mehrheitsgesellschaft, der es um Wohlstand der Mitte ging? Und was hätten erst die darum gegeben, die die strukturelle Benachteiligung wirklich betroffen hat? Eine ganze Frauengeneration musste es erdulden in Hörspielen, Filmen, Serien fast immer nur Jungs zu hören und zu sehen, wie sie die Welt regeln. Man kann sich gut vorstellen, dass sich Männer- und Frauenidentitäten entlang von Normen entwickelt haben, die wir heute zurecht aushebeln, an denen aber viele festhalten wollen, damit ein Weltbild nicht ins Wanken gerät. Und das betrifft natürlich auch den Sport. Wie wenig divers er war. Wie wenig Rücksicht genommen wurde auf die, die nicht so gut konnten. Wie Ehrenurkunden verteilt und die gestärkt wurden, die sowieso schon stark waren. Wie dominant wir die maskulinen Welten gemacht haben mit Kraft und Wettkampf, mit Härte und Selektion. Wie viel Fußball und Handball wir spielen mussten. Das hat vielen Kindern nicht so viel Bock gemacht.
Es lebe der Sportunterricht
Eine sportpädagogische Kolumne von Prof. Tim Bindel
Tim Bindel beobachtet die Welt des Sports und das Leben junger Menschen. Welche Rolle das Demonstrieren im Sportunterricht haben sollte, wird in dieser Kolumne besprochen. Der Professor lädt zum Mitdenken, Dagegenhalten und zum Diskutieren ein; für einen modernen Sportunterricht.
Sport! Du, bist immer noch so 1990!
Das Fatale ist jetzt, dass sich der Sport gar nicht so schnell gewandelt hat – allen voran der vereinsgebundene Wettkampfsport, der leider auch im versteckten Lehrplan der Schule den Ton angibt. Was haben wir da eigentlich gemacht und erhalten? Der organisierte Wettkampfsport ist in der Grundanlage eine konservative und ungerechte Welt. Die Medien zeigen es überdeutlich: Sport ist voll 90er. Und die Jugendlichen haben recht, wenn sie sich andere Freizeiten suchen, denn sie wissen jetzt, dass eine andere Welt möglich ist. Eine Welt, in der Frauen sich nicht arrangieren müssen in einer von Männern beherrschten Welt, in denen Behinderte nicht schon früh selektiert und in separate Lebenswege überführt werden, in denen sexuelle Orientierungen und nicht binäre Identitäten gesehen werden, in denen Geschlecht keine Rolle spielt, in denen Sozialgemeinschaften nicht nur aus ähnlichen Menschen bestehen, so wie es bei mir auf dem Gymnasium in den 1990ern der Fall war und so wie es auch in vielen Sportvereinen der Fall ist. Ich habe retrograde Diversitätssehnsucht. Und ich freue mich für die Jugendlichen, dass sie das heute alles zumindest sehen dürfen. Natürlich gibt es viel Mist im Leben Jugendlicher, schlimme Inhalte, die in den Medien transportiert werden. Die Welt um die jungen Menschen ist bedrohlich und kann schädlich sein. Aber wer sich für seine jugendlichen Kinder, für seine jugendlichen Schülerinnen und Schüler interessiert, der oder die hat eine gute Chance, die positiven Seiten zu erkennen, zu stärken und mitzuerleben und so den jungen Menschen zu signalisieren: „Hey, ich interessiere mich dafür und meine Grundeinstellung ist positiv.“
Man kann da viele sehr geniale Dinge entdecken – auch im Deutschrap, auch in der Jugendsprache. Die Anglizismen sind fantastisch, die Auslassungen von Artikeln in den Texten formen eine kunstvolle Sprache. Die Edits, mit denen mediale Inhalte zitiert und collagiert werden – das ist toll. Die Flüchtigkeit, das Patchwork, mit denen Mode inszeniert wird, das lässige Swipen durch die schnellen Welten, die wahnsinnigen Kompetenzen, mit denen junge Menschen sich auf Inhalte beziehen, wie sie in mehrfacher Spiegelung Kommentare zu Kommentaren kommentieren, wie sie teilhaben an etwas Neuem. Das macht natürlich Angst. Ich habe natürlich Angst, dass da Wertvolles kaputt geht. Natürlich will ich auch, dass vieles aufhört oder wie früher ist, und ich äußere mich als Pädagoge auch skeptisch. Natürlich kann man nicht alles blind zulassen (siehe mein Kommentar zu Squid Game). Aber verbieten und diskreditieren kann man nur, wenn man sich für die junge Lebenswelt interessiert und die Inhalte zu unterscheiden weiß. Nur auf der Grundlage einer Beziehung kann man (gewaltfrei) erziehen.
Es geht darum, ein Lebensthema – den Sport – so zum Inhalt zu machen, dass er auch in Zukunft mithalten kann mit dem Anspruch aller Jugendlichen, repräsentiert zu werden
Bindel, 2022
Und jetzt nochmal zum Sport. Es kann ja wohl nicht die Quintessenz der Zuwendung zum Neuen sein, darüber zu diskutieren, ob man nun E-Sports im Sportunterricht thematisiert oder nicht. Das ist die konservativ-maskuline Kanalisierung des beschriebenen Angstthemas, denn – mal ehrlich – E-Sports betreffen nur einen sehr kleinen Kreis von ehrgeizigen und mehrheitlich männlichen Spielern bestimmter Spiele. Was soll das? Es geht um weit mehr. Es geht darum, ein Lebensthema – den Sport – so zum Inhalt zu machen, dass er auch in Zukunft mithalten kann mit dem Anspruch aller Jugendlichen, repräsentiert zu werden. Das ist zuvorderst eine fachdidaktische Aufgabe, kann aber auch mithilfe guter Beziehungsführung gelöst werden.
Just let go! Dein Sportunterricht ist nicht deshalb gut, weil du ihn so erlebt hast!
Ich muss keine Unterrichtsbeispiele geben, wenn die Beziehung zu jungen Menschen stimmt. Und die stimmt, wenn das Interesse da ist. Daher gehen meine Empfehlungen hier in eine grundsätzliche Richtung: Nehmt die Jugend als Kritik ernst, nehmt die Einstellungen derer ernst, die sich abwenden von euch und eurem Fach. Schaut euch die Welten dieser Menschen an, versucht das Gute darin zu erkennen. Habt keine Angst, eure Vorstellungen von Sport und Sportlichkeit anzupassen. Macht Sport für alle – unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Fähigkeiten. Habt keine Angst davor, Altes loszulassen und Neues zu entdecken. Stellt die klare Ordnung der Welt des Sports infrage und findet Themen und Inhalte, die euch dabei helfen, gemeinsam mit den Jugendlichen zu lernen. Ich kann diejenigen nicht mehr ernst nehmen, die sich vor junge Menschen stellen und einfordern wollen, dass sie ihren Körper so zu nutzen haben, wie man es ihnen vorschreibt. Dass sie ungeachtet ihrer Individualität schnell, ausdauernd und kräftig sein sollen, dass sie ausschließlich normierte Techniken beherrschen sollen, ohne eine Anwendung dafür vorzufinden. Ich kann Tabellen mit Zeiten und Werten, getrennt nach Geschlechtern nicht ernst nehmen. All das kann nie Bildung sein, wenn das Band zu den Jugendlichen fehlt. Man soll das Etablierte vermitteln, Sportarten, Techniken, Taktiken. Man kann Traditionen aber nur vermitteln, wenn man sie zum Tausch anbietet, gegen Neues und Anderes. Erziehen und Bilden heißt auch: Miterleben, mitlernen und mitwachsen.
Nehmt die Jugend als Kritik ernst, nehmt die Einstellungen derer ernst, die sich abwenden von euch und eurem Fach.
Bindel, 2022
Was lässt Menschen denken, dass alles so sein muss, wie es selbst erlebt wurde? Ich halte es für einen der größten pädagogischen Fehler, zu meinen, dass Kinder und Jugendliche so werden müssen, wie man selbst, dass die Dinge sinnvoll und bildend sind, die man selbst erlebt hat. Nur weil du glücklich warst damit, heißt es nicht, dass es zur Wertgrundlage für junge Menschen werden kann. Das zu wissen und das zu können ist ein komplexes Geschehen und darum ist der Lehrberuf eine akademische Tätigkeit, die verdammt gut bezahlt wird und die man aufwändig studiert. Und jetzt weg mit dem Nokia-Handy, TikTok- und Netflix-Accounts machen und auf YouTube mal ein bisschen umsehen. Unkenntnis der Jugend ist kein Flex!
Der Autor
Tim Bindel lehrt als Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in der Abteilung Sportpädagogik/-didaktik und ist geschäftsführender Leiter am Institut für Sportwissenschaft. Tim Bindel beschäftigt sich mit Fragen des Kinder- und Jugendsports, der sozialen Verantwortung durch Sport und der Gestaltung von Sport und Unterricht. Er ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (Kommission Sportpädagogik) und hat den Vorsitz der dvs-Kommission Sport und Raum inne. Zusammen mit Christian Theis hat er den Podcast one and a half sportsmen gegründet.
Impressum
Dieses Dokument korrekt zitieren:
Bindel, T. (2022). Es lebe der Sportunterricht Folge 4.
Hey Lehrkräfte, interessiert euch für die Welt von jungen Menschen
oder kündigt. Zugriff am 30.12.2024 unter https://wimasu.de/interessiert-euch-fuer-eure-schuelerinnen/
Redaktion und Herausgeberschaft: Janes Veit und Christoph Walther
Illustrationen/Grafiken: Julia Schäfer, Nao Matsuyama
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