Wissensartikel zu Inhalten im Sportunterricht

Inhalte im Sportunterricht

Was verstehst Du unter Inhalten für den Sportunterricht? Vielleicht Sportarten oder Bewegungsfelder, vielleicht Techniken, Bewegungsprobleme oder Perspektiven?

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Die Idee hinter der inhaltlichen Gestaltung des Sportunterrichts kann sehr verschieden sein und in mancher Diskussion wird sicherlich keine Einigkeit über den Inhalt des Sportunterrichts gefunden werden. Wir wollen in diesem Beitrag etwas Struktur in die Diskussion bringen, indem wir Inhalte danach ordnen, wie viel Entscheidungsspielraum sie für die Lernenden zulassen. Der Entscheidungsspielraum ist aus unserer Sicht insofern eine fachdidaktisch zentrale Größe, weil darüber maßgeblich bestimmt wird, welche Ziele im Sportunterricht erreicht werden können. Fangen wir mit einem Beispiel an. Das Ziel der Unterrichtsreihe ist eine Präsentation in Gruppen zum Springen im Gummitwist. Als erstes sollen die Schüler:innen einen Grundschritt erlernen, um mit dem Springen im Gummitwist vertraut zu werden. Da die Schüler:innen später eine Präsentation in einer Gruppe erstellen sollen, werden auch zu Beginn Strategien synchronen Springens erarbeitet. Dazu sollen die Schüler:innen den Grundschritt in Gruppen durchführen und überlegen, was ihnen helfen kann synchron zu springen  (z. B. den Rhythmus Vor- und Mitzählen, Verlangsamen oder Zergliedern). Nachdem die Ergebnisse gesichert wurden, sollen die Schüler:innen in der darauffolgenden Unterrichtsphase eigene Sprungkombinationen entwickeln, die sie im Plenum vorstellen. Danach beginnt die eigentliche Entwicklungsphase der Präsentation, deren Fertigstellung das Ende der Unterrichtsreihe darstellt.

Wenn wir hier also von Inhalten reden, ist damit einerseits die kulturelle Praxis bzw. die „Sportart“ gemeint (Gummitwist, Handball, Parkour, Schwimmen, usw.), andererseits können Inhalte im Unterricht mit unterschiedlichen Entscheidungsspielräumen versehen und somit unterschiedlich thematisiert werden (Nachmachen, Selbst-gestalten, usw.).

Inhalte sprechen nicht einfach für sich, sie werden von den Akteuren gemacht und im Unterricht maßgeblich durch die Lehrkraft ausgestaltet. Als Beispiele für die „Mache“ von Inhalten stehen u. a. eine enge technikorientierte und mittlere problemorientierte Auslegung eines Inhalts.

Inhalte sprechen nicht einfach für sich! Sie werden (…) im Unterricht maßgeblich durch die Lehrkraft ausgestaltet.

Unterrichtest du Techniken oder Probleme?

In einer technikorientierten Sichtweise besteht ein Inhalt aus einem Kanon an Techniken, die erlernt werden sollen, um sie (meist später im Unterricht) anzuwenden. Bei dem Beispiel zum Springen mit dem Gummitwist liegt eine solche Inhaltsauslegung in Form des Grundschritts vor. Eine solche Inhaltsauslegung bezeichnen wir hier als eng, da für die Schüler:innen ein geringer Spielraum an Entscheidungen vorliegt, denn die Schüler:innen sollen primär die Techniken erlernen.

In einer problemorientierten Sichtweise ist der Ausgangspunkt ein Problem, für das eine Lösung entwickelt werden soll. Aus dieser Perspektive sind Techniken im Sinne einer Lösung für ein Bewegungsproblem nicht vorgegeben, sondern müssen jeweils noch entwickelt werden (vgl. Tabelle 1). Auch in einer technikorientierten Inhaltsauslegung müssen Lernende im Unterricht noch Entscheidungen treffen, bspw. müssen sie sich überlegen, wie sie eine Bewegung konkret ausführen oder sie müssen ggf. mit anderen Schüler:innen kooperieren, um sich gegenseitig beim Erlernen der Bewegung zu unterstützen (vgl. Bähr & Wibowo, 2018). Jedoch besteht in Bezug auf die Gestaltung des Inhalts kaum noch ein Spielraum für weitergehende inhaltliche Entscheidungen. Bei einer problemorientierten Inhaltsauslegung stehen die Inhalte bzw. Lösungen noch nicht fest, die Schüler:innen müssen entscheiden, ob sie eine Lösung so oder anders gestalten.

Entscheidest du oder deine Schüler:innen was Inhalt ist?

Von einer Unterrichtsplanung aus gedacht, sind Inhalte keine festen Größen, die in einer Unterrichtsreihe unveränderbar wären (vgl. auch Wibowo & Walther, 2021). Das Beispiel zum Gummitwist sollte zeigen, dass der Entscheidungsspielraum sich in Bezug auf einen Inhalt im Verlauf einer Unterrichtsreihe verändern kann[1]. Nach welchen Aspekten der Entscheidungsspielraum variiert werden kann, wird unten angesprochen. Verschiedene Umfänge des Entscheidungsspielraums bezüglich des Inhalts, lassen sich auf einem Kontinuum von eng (wenig inhaltliche Entscheidungsmöglichkeiten) bis weit (viele und komplexe Entscheidungsmöglichkeiten) ordnen. Um das Kontinuum fassbar zu machen teilen wir es im folgenden in fünf Stufen von Entscheidungsspielräumen ein, wohlwissentlich, dass die Übergänge fließend sind (vgl. Tabelle 1 am Ende des Beitrags):

  • eng (festgelegte Lösungen aneignen und isoliert nachmachen)
  • eher eng (festgelegte Lösungen anwenden)
  • mittel (Lösungen für Probleme entwickeln)
  • eher weit (Perspektiven wechseln)
  • weit (Inhalte im kulturellen Kontext betrachten)

Ein enger Inhalt liegt dann vor, wenn Techniken im Sinne von allgemein anerkannten Lösungen für oft sehr spezielle Bewegungsprobleme fokussiert werden. Beispiele sind das Erlernen des Handstands, das isolierte Üben des Pritschens oder das Ausführen eines Aufschwungs beim Turnen. In einer etwas weiteren Auslegung (eher eng) werden die bekannten Lösungen in komplexen Situationen (Spiel, Kampf) eingesetzt. Auch das Erfahren vorab von der Lehrperson festgelegter Sinnperspektiven, wie z. B. der Leistungsperspektive beim Hochsprung, kann in diesem Sinne als eher enge Auslegung verstanden werden, da vorab festgelegt ist, wie etwas erfahren werden soll (bspw. unter der Perspektive Leistung mit dem Ziel der Leistungsmaximierung in Bezug auf die Sprunghöhe).

Es liegt ein mittlerer Entscheidungsspielraum des Inhalts vor, wenn nicht ausschließlich vorab festgelegte Ideallösungen angestrebt werden, sondern der Ausgangspunkt grundlegende Probleme oder Kernideen sind. Solche grundlegenden Probleme sind oft typisch für Gruppen von Sportarten, zum Teil sogar für ganze Bewegungsfelder (vgl. Laging, 2008). Z. B. können für das Bewegungsfeld Kämpfen je nach Kampfform folgende Grundprobleme formuliert werden (vgl. Wibowo, 2018): Wie kann ich eine vorteilhafte Position erlangen? Wie kann ich mich aus einer nachteilhaften Position befreien? Wie kann ich die Distanz zwischen dem Gegenüber und mir überwinden ohne getroffen zu werden? Wie kann ich die Gegnerin oder den Gegner täuschen? Die Lösungen sind in einer solchen Inhaltsauslegung jedoch nicht vorab festgelegt bzw. überbleibt es den Lerngruppen eigene Lösungen zu entwickeln. Hier könnte argumentiert werden: die idealen Lösungen sind ja bekannt, die kann ich auch gleich (eng) vermitteln. Dabei sollte mitbedacht werden, dass die oftmals aus dem Wettkampfbereich stammenden „Ideallösungen“ eine sehr spezielle Lösung unter vielen möglichen ist. Speziell sind solche Lösungen deshalb, weil sie für besondere Personengruppen, Erfahrene und Wettkampforientierte, geeignet sind. Der Kontext Schule zeichnet sich jedoch primär durch die Heterogenität der Lernenden bezüglich der fachlichen Leistung und Vorerfahrung aus. Soll beispielsweise das Hochspringen thematisiert werden, ist aufgrund der unterschiedlichen koordinativer Voraussetzungen der Schüler:innen davon auszugehen, dass nicht für alle der Fosbury-Flop die Ideallösung ist, da die mehrjährige Übungsphase zur Aneignung einer solchen komplexen Technik für den Sportunterricht utopisch ist. Vor diesem Hintergrund scheint es lohnenswert die Entwicklung von Lösungen für grundlegende Probleme und auch deren funktionale Bewertung zur Auslegung von Inhalten im Sportunterricht zu verwenden, um der leistungsbezogenen Heterogenität der Lernenden Rechnung zu tragen.

Eher weit wird der Inhalt des Sportunterrichts, wenn (normierte und unnormierte) Bewegungen hinsichtlich ihrer Bedeutung hinterfragt und ggf. verändert werden (vgl. Abb. 1). Ein Beispiel ist Loibls (2006) Ansatz zum genetischen Lernen im Basketball. Während die meisten Schüler:innen vermutlich Basketball vorwiegend unter einer Wettkampf- und Leistungsperspektive kennen, wird bei Loibl nach einem ersten Spiel die Problematik einer Leistungsperspektive angesprochen. Damit ist gemeint, dass eine solche Perspektive nur dann für alle ertragreich ist, wenn Chancengleichheit besteht und sich alle am Prinzip der Fairness orientieren (siehe zu Fairness Gaum, 2019). Mit der Feststellung, dass unter den schulischen Bedingungen ein fairer Wettkampf nach den Verbands-Basketballregeln (fast) nicht sinnvoll ist, wird der Fokus auf die Veränderung des Spiels mit dem (Grund-)Problem gelegt, dass eine heterogene Klasse zusammenspielen soll (s. a. Balz & Frohn, 2016). Dafür müssen die Bedingungen des Spiels geändert werden. Das Gewinnen-Wollen und Wettkampf verschwinden nicht, aber es werden verschiedene Perspektiven integriert. Auch werden Techniken des Basketballs nicht unwichtig, vielleicht wird sogar eine Übungseinheit zum Standwurf und Korbleger eingebaut, oder sie werden ggf. verändert, z. B. weil auch die Zielgröße oder die Handlungsregeln verändert werden. Aber die Techniken geben nicht die Struktur des Unterrichts vor.

Als weit bezeichnen wir den Inhalt des Sportunterrichts dann, wenn er nicht mehr bloß das Sich-Bewegen betrifft, sondern die außerschulische Bewegungskultur mit ihren verschiedenen Facetten über das bloße Sich-Bewegen hinaus berücksichtig. Dies kann beispielsweise das Fan-Sein oder eine kommerzielle oder eine historische Seite des Sports betreffen. Z. B. könnte die Planung und Durchführung eines Schulwettkampfes für andere Schüler:innen einen Inhalt entsprechend kontextualisieren. Der Inhalt, beispielsweise Handball, wird in einen Wettkampfkontext eingebettet, für den u. a. sportartbezogene (z. B. Turniermodus, Schiedsgericht), organisatorische (z. B. Aufenthaltsbereiche, Verkehrswege, Verpflegung) und stimmungsbezogene (z. B. Einfordern eines Teamnamens und Trikots) Aspekte berücksichtigt werden müssen.

Das Spektrum des Entscheidungsspielraums von Inhalten des Sportunterrichts hat zunächst keine bewertende Funktion. Wir gehen nicht davon aus, dass die Auswahl einer bestimmten Ausprägung in einer Unterrichtsphase einen besseren Unterricht macht. Es könnte auch vermutet werden, dass Weite mit Komplexität zusammenhängt – auch das soll hier nicht andeutet werden. Ein sehr komplexer Soll-Wert kann Schüler:innen genauso überfordern, wie eine nicht-strukturierte Problemlösesituation. Die verschiedenen Auslegungen (eng bis weit) stehen zum Teil in einem komplementären Verhältnis, z. B. sind geschlossene und offene Fertigkeiten mögliche Lösungen für Grundprobleme oder das Thematisieren des Sporttreibens unter einer gewissen Perspektive ist eine Voraussetzung für den Wechsel zu einer anderen Perspektive. Damit können vorgegebene Lösungen eine Voraussetzung darstellen, um eine festgelegte Sichtweise überschreiten und zu hinterfragen.

Ob ich mich nun für einen engen oder weiten Entscheidungsspielraum bei der Planung von Sportunterricht entscheide, muss im Zusammenhang mit den angestrebten Zielen betrachtet werden.

Inhalte wozu nutzen? Ziele des Sportunterrichts

Das Eingangsbeispiel der Unterrichtsreihe zum Gummitwist zeigt, dass derselbe Inhalt als Unterrichtsgegenstand auf unterschiedliche Weise ausgelegt werden kann. Denkbar ist, vorranging bestimmte Sprungtechniken zu vermitteln (enge Auslegung) oder die Schüler:innen selbst mögliche Sprungformen erproben und entwickeln zu lassen (weite Auslegung) oder mit der Einführung von Grundsprüngen über Sprungkombinationen zu einer gemeinsamen Gruppengestaltung hinzuleiten (von einer engen zu einer weiten Auslegung). Insofern bilden die jeweiligen Inhalte des Sportunterrichts – als vorgesehene bzw. ausgewählte „Sportarten und Bewegungsfelder“ (s. Abb. 2) – das Material: Den Unterrichtsgegenstand „Gummitwist“ als Material kann man unterschiedlich verwenden und in Abhängigkeit von der spezifischen Zielsetzung einer Sportstunde bzw. Unterrichtsreihe ganz verschieden bearbeiten, d. h. zum Thema machen. Dies gilt entsprechend auch für alle anderen Unterrichtsinhalte im Fach Sport (s. Abb. 2).

Laufen, Werfen, Springen – Leichtathletik (z. B. Hochsprung oder Sprint)
Bewegen im Wasser – Schwimmen (z. B. Tauchen oder Brustbeinschlag)
Bewegen an Geräten – Turnen (z. B. Felgaufschwung oder Überschläge)
Bewegungen gestalten – Gymnastik/Tanz (z. B. Gummitwist oder Jumpstyle)
Spielen in/mit Regelstrukturen – Sportspiele (z. B. Korbleger oder Überzahlspiel)
Gleiten/Fahren/Rollen – Roll-/Boots-/Wintersport (z. B. Rudern oder Inlineskaten)
Ringen und Kämpfen – Zweikampfsport (z. B. Schiebewettkämpfe oder Falltechniken)
Weitere Sportbereiche und Bewegungsfelder (z. B. Entspannung oder Trendsport)
Sportarten/Bewegungsfelder und mögliche Unterrichtsinhalte (u.a. MSW NRW, 2014)

Für die spezifische Zielsetzung, mit der ein Unterrichtsinhalt dann bearbeitet bzw. thematisiert wird, ist es zunächst bedeutsam, diese Zielsetzung überhaupt bewusst und transparent zu machen – also zu fragen: Wozu sollen die Schüler:innen bestimmte Grundsprünge beim Gummitwist erlernen (z. B. um eine Gruppengestaltung zu komponieren)? Und wozu sollen sich die Schüler:innen weitere Unterrichtsinhalte aneignen, von welchen Zielen wird das geleitet? Bei der jeweils zu treffenden Zielsetzung lässt sich dann dahingehend differenzieren, ob vorrangig Ziele in der Sportstunde bzw. Unterrichtsreihe angesteuert werden sollen (s. Abb. 3; u. a. Balz, 2009; Neuber, 2020),

  • die erstens auf den Erwerb sportlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten gerichtet sind (z. B. das Aneignen von Sprungtechniken) im Sinne einer eng ausgelegten „Erziehung zum Sport“, wie das im konservativen, kulturtradierenden Konzept des „Sportartenprogramms“ vertreten wird,
  • die zweitens auf den Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit Sport gerichtet sind (z. B. durch das Entwickeln eines Spiels) im Sinne einer mittel ausgelegten „Erziehung im Sport“, wie das im intermediären Konzept der „Handlungsfähigkeit“ mit seinen pädagogischen Perspektiven vertreten wird,
  • die drittens auf den Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten durch Auseinandersetzung mit Sport und Bewegung gerichtet sind (z. B. Freizeitbezug) im Sinne einer weit ausgelegten „Erziehung durch Sport/Bewegung“, wie das im Konzept der „Schlüsselqualifikationen“ oder „Bewegungserziehung“ vertreten wird. 

Im Blick auf die Frage „Inhalte wozu nutzen?“ lässt sich also festhalten, dass ein breites Spektrum von Unterrichtsinhalten genutzt werden kann

  1. für sportimmanente Zielsetzungen („Erziehung zum Sport“, wie er verbreitet ausgeübt wird),
  2. für sportbezogene Zielsetzungen („Erziehung im Sport“, wie er sich sinnvoll betreiben lässt) und
  3. für außersportliche Zielsetzungen („Erziehung durch Bewegung/Sport”, wie er noch zu machen ist).

Offen bleibt nun allerdings, inwiefern sich eine zielorientierte Inhaltsauslegung vernünftig vornehmen lässt und von welchen Kriterien eine engere oder weitere Inhaltsauslegung abhängt.

Inhalte wie auslegen? Kriterien für den Sportunterricht

Die zielbewusste – enge, mittlere oder weite – Auslegung von Inhalten im Sportunterricht bietet einerseits Entscheidungsspielräume, erfordert andererseits aber auch konkrete Planungsentscheidungen, wenn ich heute in einer 6. Klasse z. B. Gummitwist vermitteln oder morgen in einer 10. Klasse das Überzahlspiel unterrichten will. Wie die Inhalte bzw. Unterrichtsgegenstände dann jeweils auszulegen sind, sollte allerdings nicht willkürlich oder nur gewohnheitsmäßig entschieden werden. Für vernünftige und nachvollziehbare Entscheidungen können vielmehr verschiedene Kriterien herangezogen werden; diese Kriterien nehmen explizit Bezug auf Lehrplanvorgaben, die Lerngruppe, die Lehrkraft und den schulischen Kontext (u. a. Balz & Kuhlmann, 2009):

In den Lehrplanvorgaben aller 16 Bundesländer für das Fach Sport finden sich didaktisch-methodische Grundlegungen und Hinweise (vom Bildungsauftrag über pädagogische Perspektiven und Vermittlungsprinzipien wie Verständigung oder Reflexion bis zu Inhaltsbereichen und Kompetenzerwartungen), die es bei der i. d. R. nicht zu engen bzw. zu weiten Inhaltsauslegung mit zu berücksichtigen gilt (u. a. MSW NRW, 2014). Nicht selten wird das noch durch schulinterne Lehrpläne im Fach Sport spezifiziert.

  • In den jeweiligen Lerngruppen (z. B. meiner 6. Klasse) sollten die inhaltsspezifischen Voraussetzungen der Schüler:innen (motorische, motivationale, soziale, kognitive etc. für Gummitwist) abgeschätzt und in die Entscheidung über eine Inhaltsauslegung einbezogen werden. Hier spielen insbesondere unterschiedliche Differenzierungsstrategien bei unterschiedlichen Inhaltsauslegungen eine Rolle (s. u.).
  • Im Blick auf die eigene Person als Sportlehrkraft mit sportbiografischen Besonderheiten, bevorzugtem Unterrichtsstil, spezifischen Vermittlungskompetenzen und methodischen Vorlieben sollte es zwar keine Einbahnstraßen für die Inhaltsauslegung geben, aber möglicherweise begründete Präferenzen (z. B. weil ich mit einem Inhalt schon viel oder nur wenig eigenmotorische wie sportunterrichtliche Erfahrung besitze).
  • Im schulischen Kontext der Einzelschule mit dem dort vorgesehenen Sportunterricht und den vorhandenen räumlich-materiellen, ggf. auch besonderen zeitlichen und sozialen Rahmenbedingungen können bestimmte Inhaltsauslegungen eventuell erleichtert oder vielleicht auch erschwert werden (weil z. B. der Raum für ein Überzahlspiel in 6er-Gruppen oder das Material für die Schüler:innen fehlt).

Diese Kriterien müssen für eine konkrete Entscheidung über die inhaltliche Auslegung z. B. von Gummitwist zusammengedacht und untereinander abgewogen werden. Demnach kann die Entscheidung – in Abhängigkeit von spezifischen Lehrplanvorgaben, der jeweiligen Lerngruppe und Lehrkraft sowie des Schulkontextes – variieren. Eine vermittelnde Funktion zwischen den genannten Kriterien und dem konkreten Unterricht stellen die Ziele einzelner Unterrichtsvorhaben dar, z. B. das Durchführen eines Wettkampfs in der Klasse oder das Präsentieren einer Choreographie. Auch solche Unterrichtsreihenziele können als eher eng (in einem Wettkampf werden bekannte Techniken und Taktiken angewendet) oder weiter (wenn in einer Präsentation zumindest Teile selbst entwickelt werden) charakterisiert werden und geben dadurch die Richtung vor, welche der dargestellten Inhaltsauslegungen in den einzelnen Arbeitsphasen der Unterrichtsreihe dominieren werden (vgl. Wibowo & Walther, 2021). Insofern gibt es auch keine „richtigen“ Inhaltsauslegungen, sondern immer nur situativ mehr oder weniger angemessene, die von Fall zu Fall entschieden werden. Wichtig bleibt dabei, dass die Entscheidungsspielräume auf Dauer möglichst kriteriengeleitet und transparent genutzt werden.

Wie gestalte ich den Lernprozess für unterschiedliche Inhaltsstrukturen?

Je nach Weite des inhaltlichen Entscheidungsspielraums variiert die Rolle der Lehrkraft in der jeweiligen Unterrichtsphase.

Bei engem und eher engem inhaltlichem Entscheidungsspielraum hat die Lehrkraft in Bezug auf den Inhalt vor allem eine informationsübermittelnde Funktion, während die Schüler:innen vornehmlich die vorgegebenen Soll-Werte nachahmen bzw. konkrete erworbene Fertigkeiten in speziellen Kontexten anwenden (vgl. Tabelle 1). Diese Übertragung von Informationen kann auch mittels Lernmaterialien erfolgen. Dies hat die Vorteile, dass die Schüler:innen unabhängig von der Lehrkraft auf ein Modell zugreifen können und die Lehrkraft in der Arbeitsphase entsprechend entlastet wird (vgl. Wibowo, angenommen).

Ab einem mittleren inhaltlichen Entscheidungsspielraum wechselt die Rolle der Lehrkraft, da auf der inhaltlichen Ebene nur noch Teile der Ergebnisse vorgegeben und Lösungen bzw. Auslegungen sehr individuell sein können. Die Lehrkraft gibt in diesem Sinne bspw. Problemsituationen vor und begleitet die Entwicklung der Inhalte (z. B. Lösungen im Sinne von Techniken oder Taktiken) durch die Schüler:innen. Neben der Unterstützung der Lernenden besteht eine wichtige Rolle in der Strukturierung der Sicherung von Ergebnissen zum Austausch zwischen den Schüler:innen und zur Dokumentation für weitere Arbeitsphasen. Die Sicherung von Ergebnissen kann durch den Einsatz von Lernmaterialien unterstützt werden, damit Ergebnisse in Folgestunden weiterverwendet werden können, für abwesende Gruppenmitglieder zugänglich sind und die Lehrkraft ggf. einen Einblick in die Arbeitsprozesse der Schüler:innen nehmen kann.

Neben der Rolle bezüglich der Instruktion und Lernbegleitung zeigen sich auch deutliche Unterschiede in Bezug auf den Umgang mit Heterogenität. Bei engen und eher engen Inhaltsauslegungen kann einerseits über eine Auswahl an verschieden schwierigen Soll-Werten differenziert werden (z.B. können zum Thema Rope-Skipping unterschiedlich schwere Sprünge angeboten werden). Andererseits ist die Differenzierung über Komplexitätsreduktion bzw. –steigerung eine etablierte Strategie.[2]  

Ab einer mittleren Inhaltsauslegung entsteht die Differenzierung durch den gestiegenen Entscheidungsspielraum und dadurch, dass die Schüler:innen Lösungen entsprechend ihrem Können entwickeln können oder individuelle Perspektiven zum Thema gemacht werden. Die Offenheit von Arbeitsphasen birgt jedoch insbesondere für schwächere Schüler:innen ein Überforderungspotenzial, da die Selbstregulation hohe metakognitive Anforderungen an sie stellt. Lehrkräfte müssen hier im Sinne von Differenzierung darauf achten inhaltliche Strukturierungshilfen anbieten zu können. Dies können Lösungsbeispiele oder Hinweiskarten sein, die Strategien beinhalten, wie eine Lösung entwickelt werden kann.

Aufgrund der empirisch mehrfach vorgefunden Schwierigkeiten von Lehrkräften mit eher offenen Unterrichtsansätzen (Bähr, 2009; Seidel, 2014) und der traditionellen Sportartenorientierung im Sportunterricht kann vermutet werden, dass enge und eher enge Inhaltsauslegungen in der Praxis des Sportunterrichts dominieren. Gegen einzelne Phasen der gezielten Technik und Taktikvermittlung ist grundsätzlich nichts einzuwenden, jedoch muss festgehalten werden, dass eine dauerhafte Beschränkung des Entscheidungsspielraums nicht mit den Zielen eines Erziehenden Sportunterrichts vereinbar ist (vgl. Prohl, 2012). Um Ziele wie Selbständigkeit oder Handlungsfähigkeit erreichen zu können, müssen Schüler:innen auch zeitweise selbsttätig inhaltliche Entscheidungen treffen können.


[1] Der Entscheidungsspielraum ist hier immer auf die Schüler:innen bezogen. Weiterhin beziehen wir uns in diesem Beitrag ausschließlich auf inhaltliche Aspekte des Entscheidungsspielraums. Der gesamte Entscheidungsspielraum von Schüler:innen wird aber auch durch methodische Aspekte der Unterrichtsgestaltung beeinflusst. Sollen z. B. alle Schüler:innen eine vorgegebene Bewegung nachmachen, besteht auf inhaltlicher Ebene nur ein sehr geringer Entscheidungsspielraum, sollen die Schüler:innen diese Bewegung jedoch im Sinne Kooperativen Lernens im Team verbessern, so wird den Schüler:innen auf der methodischen Ebene ein gewisser Entscheidungsspielraum eingeräumt. Auch durch ein Feedback zu einer vorgegebenen Bewegung entsteht ein gewisser methodischer Entscheidungsspielraum, bei keinem inhaltlichen Entscheidungsspielraum.

[2] Der Differenzierungsstrategie einer Komplexitätsreduktion durch Zergliederung, wenn z.B. beim Schwimmen einzeln Bein und Armbewegungen thematisiert werden, birgt jedoch die Schwierigkeit für die Lernenden, dass die isoliert geübten Einzelteile in Anwendungssituationen wieder zusammengefügt werden müssen. Aufgrund dieser Problematik gewinnen in der Sportspieldidaktik ganzheitlich spielorientierte Ansätze, wie z. B. Teaching Games for understanding (Griffin & Butler, 2005) oder das genetische Lernen nach Loibl (2006), an Bedeutung. Diese Ansätze entsprechen im Kern eher einer mittleren Inhaltsauslegung, auch wenn u.U. Unterrichtsphasen mit engem Entscheidungsspielraum zur Vertiefung von Fertigkeiten eingebaut werden.

Literatur

Bähr, I. (2009). Lehrer- und Schülerhandeln als methodologisches Problem bei der Implementierung von Unterrichtskonzepten. In H. P. Brandl-Bredenbeck (Hrsg.), Schulen in Bewegung – Schulsport in Bewegung (S. 179-184). Hamburg: Czwalina Verlag.

Bähr, I. & Wibowo, J. (2018). Theoretische Grundlagen – zum Verständnis Kooperativen Lernens. In J. Wibowo & I. Bähr (Hrsg.), Kooperatives Lernen im Sportunterricht (S. 15-39). Baltmannsweiler: Schneider Verlag.

Balz, E. (2009). Fachdidaktische Konzepte update oder: woran soll sich der Schulsport orientieren? sportpädagogik, 33 (1), 25-32.

Balz, E. & Frohn, J. (2016). Mit allen Fußball spielen. sportpädagogik, 40 (5), 2-6.

Balz, E. & Kuhlmann, D. (2009). Inhalte und Themen: von der Leibeserziehung zum Schulsport. In R. Laging (Hrsg.), Inhalte und Themen des Bewegungs- und Sportunterrichts (S. 60-85). Baltmannsweiler: Schneider.

Gaum, C. (2019). Fairness im Sport – Regeltreue, Sportsgeist und Gewinnstreben. WIMASU-Wissen.

Griffin, L. L. & Butler, J. (2005). Teaching Games for Understanding. Theory, research, and practice. Champaign Ill.: Human Kinetics.

Laging, R. (2008). Unterrichten in Bewegungsfeldern – Eine Einführung. In R. Laging (Hrsg.), Inhalte und Themen des Bewegungs- und Sportunterrichts (S. 89-95). Baltmannsweiler: Schneider Verlag.

Loibl, J. (2006). Basketball – genetisches Lehren und Lernen. Spielen – erfinden – erleben – verstehen. Schorndorf: Hofmann.

MSW NRW [Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen] (Hrsg.) (2014). Rahmenvorgaben für den Schulsport in Nordrhein-Westfalen. Frechen: Ritterbach.

Neuber, N. (2020). Fachdidaktische Konzepte Sport. Zielgruppen und Voraussetzungen. Wiesbaden: Springer VS.

Prohl, R. (2012). Der Doppelauftrag des Erziehenden Sportunterrichts. In V. Scheid & R. Prohl (Hrsg.), Sportdidaktik. Grundlagen, Lehrplan, Bewegungsfelder (S. 70-91). Wiebelsheim: Limpert.

Veit, J., Walther, C. & Wibowo, J. (2014). Gummitwist – springend gestalten. sportunterricht, 63 (12), 1-5. Wibowo, J. (2018). Bewegungsfeld Kämpfen. WIMASU-Wissen. Zugriff am: 18.02.2021, unter https://wimasu.de/bewegunsfeld-kaempfen/

Die Autoren

Jonas Wibowo ist aktuell akademischer Rat an der Bergischen Universität Wuppertal. Das Fachdidaktische Wissen von Sportlehrkräften ist eines seiner Steckenpferde. Reitet gerne mit dem Mountainbike die Trails der Wälder um Wuppertal.

Eckart Balz ist Professor für Sportpädagogik an der Bergischen
Universität Wuppertal. Seit etwa vierzig Jahren betreibt, vermittelt
und betrachtet er Sport, insbesondere mehrperspektivischen
Sportunterricht, Fußball und Ausdauersport sowie informelle
Bewegungspraxen; schwimmt gern im See.

Impressum

Dieses Dokument korrekt zitieren:

Wibowo, J. & E. Balz (2021). Inhalte im Sportunterricht. Zugriff am 19.04.2024 unter https://wimasu.de/inhalte-im-sportunterricht/

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Illustrationen/Satz: Nao Matsuyama
Herausgeber: Christoph Walther & Janes Veit

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