Turnen in der Schule
Die Beziehung zum Turnen ist bei vielen Menschen äußerst zwiegespalten: Während uns die Grundbewegungen Rollen, Klettern, Springen und Fliegen insbesondere als Kleinkind geradezu magisch angezogen und bestens unterhalten haben, haben die Ausprägungsformen des normierten Turnens z. B. „Rolle“, „(Bock)sprung“ im Schulsport viele Menschen geradezu traumatisiert. Daher zunächst die Frage:
Turnen – was ist das eigentlich?
Immer wieder gab es eine Auseinandersetzung in der Sportpädagogik und Sportdidaktik um das „richtige“ Turnen für die Schule (vgl. Krüger, 2002; Göhner, 2008). Traditionelle Ansätze (z. B. Söll, 1973) rekurrieren auf Vorschriften des normierten Gerätturnens.
Demgegenüber interpretieren solche turndidaktischen Ansätze, die sich auf die historischen Wurzeln des Turnens als freies, nicht-normiertes Sich-Bewegen an Geräten bei Jahn sowie auf das natürliche Turnen von Gaulhofer & Streicher (1931) berufen, das Turnen in einem erweiterten Sinne und lenken den Blick auf das „Mehr“ des Turnens (zsf. Pfister, 1999). So plädiert z. B. Trebels (1985, S. 11) dafür,
„die ursprüngliche Idee des Turnens – die Vision schwingender, springender, fliegender und balancierender Menschen – mit Hilfe einer didaktischen Transformation wieder zur Geltung zu bringen”.
Abb. 1 zeigt unterschiedliche Bereiche so verstandenen turnerischen Sich-Bewegens. Die Abgrenzung der vier Bereiche dient vorrangig der Orientierung und ist nicht vollständig trennscharf.
In Anlehnung an: Krick, 2012, S. 171.
Die SPRINT-Studie hat vor ein paar Jahren gezeigt, dass auf der einen Seite recht häufig im Sportunterricht geturnt wird, Turnen allerdings eher eine unbeliebte Sportart ist. Die Vermutung liegt nahe, dass dies an folgenden Eigenschaften des Turnsportunterrichts liegen könnte:
- Turnen wird häufig als normiertes Turnen unterrichtet
- Turnen ist häufig methodisch lehrerzentriert und wenig schülerorientiert
- Turnen wird häufig anhand von Sachnormen getestet und benotet
- Turnen wird häufig negativ, über Abzüge vom Optimum, bewertet
Was bietet die Turnkartei?
Was soll diese Kartei im Sportunterricht leisten?
Die Turnkartei fokussiert nun den vermeintlich „unbeliebten“ Ausschnitt des „Turnens“, nämlich das formgebundene, normierte Turnen.
Die Turnkartei ist als Hilfsmittel für den Sportunterricht und nicht als enge Vorgabe oder gar Anleitung gedacht. Sie ermöglicht den Blick über die turnerischen Bewegungen “Springen, Schwingen, Balancieren, usw.” hinaus auf grundlegende Elemente des normierten Turnens. Diese Elemente sollen darüber hinaus wiederum Ausgangspunkt und Basis für freieres Turnen an und mit Geräten im Sportunterricht sein. Die Turnkartei eröffnet eine Welt der turnerischen Basiselemente.
Sie beinhaltet einfache turnerische Elemente an den Geräten
- Boden,
- Balken,
- Barren
- und Reck,
die im schulischen Sportunterricht erarbeitet werden können. Dabei wird die Darstellung der Bewegungen mittels Bildern durch zentrale Hinweise und Tipps auf den Karten unterstützt. Da Bilder bekanntlich mehr als 1000 Wort sagen, verzichten wir bewusst auf detailierte sportwissenschaftliche Bewegungsbeschreibungen aller Phasen. Auf einzelne Fachbegriffe haben wir aber nicht verzichtet, da wir in unserem Unterricht auch nicht darauf verzichten möchten.
Die Turnkartei ist damit ein Hilfsmittel für Lehrkräfte für die Planung des Unterrichts wie auch für Schülerinnen und Schüler beim Lernen und Üben von turnerischen Bewegungen im Sportunterricht. Es wird möglich den Schülerinnen und Schülern die Fülle des normierten Turnens auf einen Blick zu zeigen, sodass sich Wahlmöglichkeiten ergeben und nicht nur die Elemente bekannt werden, die die Lehrkraft gerade einführt. Es besteht die Hoffnung, dass die Kinder turnerische Eigeninitiative entwickeln und motiviert werden, selbst interessante und ggf. für die jeweilige Körperkonstitution realistische Bewegungsziele entwickeln.
Die farbigen Abbildungen mit vielen Phasenzeichnungen sollen den Schülerinnen und Schüler eine bessere Bewegungsvorstellung ermöglichen und ggf. bereits Vorübungen ohne die Demonstration oder Erklärung der Lehrkraft anbieten.
Dass die Selbstständigkeit beim Turnen Grenzen hat, wenn es um Sicherheit und das Geben von Hilfestellungen geht, ist uns (und hoffentlich auch euch) bewusst. Es ist notwendig, Schülerinnen und Schülern zu verdeutlichen, dass eine zu schwierige Übung oder eine missglückte Hilfestellung das Vertrauen und ggf. auch den Körper verletzen kann.
Zuletzt besteht die Hoffnung, dass durch das breite Angebot der Turnkartei Prüfungen individualisiert und durch eine Vielzahl von Bewegungszielen auch Lernfortschritte besser dokumentiert werden können, sodass der Felgaufschwung als Demonstrationselement vor der ganzen Klasse in Zukunft vielleicht nicht mehr in allen Turnhallen vorgeführt werden muss.
Was die Turnkartei nicht kann – Risiken und Nebenwirkungen
Turnen im Sportunterricht ist mehr als Rolle, Rad und Handstand und die Turnkartei ist nicht ausreichend um „guten Turnunterricht“ zu gestalten. Aber sie ist ein super Hilfsmittel. Das Vorbereiten des normierten Turnens durch vielfältiges Hangeln, Rollen, Klettern und Balancieren sowie spielerische Herangehensweisen wird in diesen Karten nicht thematisiert.
Zudem ist festzuhalten, dass die Turnkarten in einer Kooperation der gesamten Turn-Familie Krick, dem Grafik-Team Nao Matsuyama und Julia Schäfer unter Zutun von Christoph Walther und Janes Veit über einen Zeitraum von nunmehr 2 (Corona)-Jahren entstanden ist. Vielen Dank für die Mühe, ABER wir haben es bislang nicht geschafft die Karten im Unterricht mit „echten“ Kindern zu testen. Wir trauen uns dennoch die Kartei bereits zu veröffentlichen und verlassen uns dabei maßgeblich auf das umfangreiche Wissen und die Erfahrung von Florian Krick und Christoph Walther. Seien Sie sicher: Jedes dieser Elemente ist von Flo vielfach probegeturnt bzw. angeleitet worden.
Sollten einzelne Elemente für eure Kids zu schwierig oder systematisch missverständlich sein, freuen wir uns über Feedback und das Grafikteam auf eine Überarbeitungsschleife mehr. In diesem Sinne: Lasst uns turnen.
Literatur
Krick, F. (2012). Bewegen an und mit Geräten – Turnen. In: V. Scheid & R. Prohl (Hrsg.), Sportdidaktik, Grundlagen, Vermittlungsformen, Bewegungsfelder (S. 169-190). Wiebelsheim: Limpert