WIMASU-Rituale-im-Sportunterricht-Blog

Rituale im Sportunterricht

Rituale sind für das alltägliche Funktionieren von Schule unerlässlich, denn sie „bieten Orientierung und vermitteln ein Gefühl von Vertrautheit, Verlässlichkeit und Sicherheit. Sie erleichtern und entlasten den Umgang miteinander, insbesondere auch zwischen Lehrern und Schülern“ (Hummel und Krüger, 2015, S. 34). Auch im Schulsport und Sportunterricht sind Rituale unverzichtbar (vgl. ebd.). Oftmals sind sie harmonisch in das Unterrichtsgeschehen integriert und werden von den Schüler:innen selbstständig ausgeführt.

Ritualisierte Handlungen finden sich unmittelbar vor und nach dem Sportunterricht, z. B. um das Umziehen zeiteffektiv zu gestalten (vgl. „Umziehduell“, Werner, 2022[CW1] ). Außerdem sind sie Teil des Sportunterricht selbst, um bspw. in gewohnter Weise in die sportliche Betätigung zu starten (vgl. „Die Rakete“, Drosten, Veit und Walther, 2022b, 19:04-20:59).


Was macht eine Handlung zu einem Ritual? Wie profitiert mein Sportunterricht von Ritualen?

Dieser Beitrag möchte den Begriff des Rituals greifbar machen und den/die Leser:in zum bewussten, reflektierten Einsatz von Ritualen im eigenen Sportunterricht einladen. Hierzu wird mit einer Definition des Begriffs begonnen und Charakteristika einer ritualisierten Handlung herausgearbeitet. Anschließend werden Funktionen und Chancen des Rituals benannt, aber auch auf mögliche Risiken im Zusammenhang mit der Einführung und Umsetzung von Ritualen eingegangen.

Was ist ein Ritual?

Das aus der lateinischen Kirchensprache stammende Wort Ritual (lat. ritualis) bezeichnet ursprünglich einen religiösen Brauch (vgl. Straub, 2015, S. 36). Heutzutage wird der Begriff für unterschiedliche Handlungen in vielen Bereichen des sozialen und individuellen Lebens, z. B. in der Familie, Schule und Beruf, verwendet. „Rituale sind eine vorgeschriebene Folge von symbolischen Handlungen, die in einer bestimmten Art und Weise und in einer bestimmten Reihenfolge ausgeübt werden müssen und dabei von verbalen Formeln begleitet sein können“ (van der Hart, 1983, S. 143).

Ein Beispiel ist das Begrüßungsritual aus dem Judo. Zuerst wird sich auf das Kommando „Seiza“ in einer festgelegten Reihenfolge niedergekniet. Danach wird durch die Worte „Mokuso“ eine Meditations-/Konzentrationsphase begonnen und durch „Yame“ beendet. Auf das Kommando „Rei“ folgt die gegenseitige Verbeugung (vgl. Steinmann, Seiler und Niederberger, 2017, S. 7). Dieses Ritual „zeigt den Respekt dem Lehrer (sensei) und den Trainingspartnern [Mitschüler:innen] gegenüber“ (TSV Waging e.V.).


Infobox: Routine vs. Ritual

Rituale sind nicht bloß routinemäßige Handlungen, die durch mehrfaches Wiederholen zur Gewohnheit werden, sondern sie haben eine Bedeutung und Absicht. „While routines can be (repetitive) actions that just need to be done – such as making your bed or taking a shower – rituals are viewed as more meaningful practices which have a real sense of purpose“ (Karst, 2021). Ein entscheidender Unterschied ist somit die Haltung, mit der die Teilnehmenden der Handlung gegenüberstehen.

Als Beispiel kann z. B. die Urkundenübergabe bei einem Sportfest oder Turnier genannt werden. Das Aushändigen der Urkunden kann durch seinen sich wiederholenden Charakter auf den ersten Blick wie eine monotone Routinearbeit erscheinen; etwas das einfach dazugehört. Für die Schüler:innen kann dieser kleine Moment aber eine besondere Bedeutung haben und zu einem besonderen Moment werden (vgl. Drosten, Veit und Walther, 2022a, 01:48-02:19). In diesem Moment werden ihre Leistungen gewürdigt und das Sportfest/Turnier symbolisch beendet.


Welche Funktion erfüllen Rituale im Sportunterricht?

In der diversifizierten Gesellschaft, die von sozialer und kultureller Vielfalt geprägt ist, gewinnen Rituale an Bedeutung. So finden sich „heute in jeder Klasse eine bunte Mischung von Kindern und Jugendlichen aus allen gesellschaftlichen Milieus, mit und ohne Migrationshintergrund“ (Straub, 2015, S. 37). Rituale können den Schüler:innen ein Sich-wohl-Fühlen, ein Sich-zugehörig-Fühlen und ein Sich-sicher-Fühlenermöglichen (vgl. ebd.). Auch kann die Selbstwirksamkeit der Schüler:innen gefördert werden, indem sie einzelne Rituale mitgestalten. Die Beachtung und Einführung von Ritualen kann dazu beitragen, die Unterrichtsqualität zu steigern und den Merkmalen guten Unterrichts gerecht zu werden (vgl. Steinmann, Seiler und Niederberger, 2017, S. 3).

Aufgemerkt

Die Merkmale guten Unterrichts können zu drei übergeordneten Basisdimensionen von Unterrichtsqualität zusammengefasst werden:

  • Klassenführung
  • Aktivierung
  • Schüler:innenorientierung/unterstützendes Lernklima

(vgl. Hermann, Seiler und Niederkofler, 2016; Klieme, 2018; Wibowo, 2016)

Beispiele für Rituale, die zu gutem Unterricht beitragen können

Klassenführung – Informierender Unterrichtseinstieg

Zu Beginn jeder Stunde findet ein gemeinsamer „informierender Unterrichtseinstieg“ statt, in dem das Unterrichtsthema und Ziel benannt, sowie die Unterrichtsphasen vorgestellt werden (vgl. Hindenburg, 2020, S. 5). Hierbei können zusätzliche Visualisierungshilfen eingesetzt werden, welche den Schüler:innen die einzelnen Aspekte verdeutlichen.

Aktivierung – Klatschkreis

Bei diesem Ritual stehen die Schüler:innen im Kreis und können durch ein Klatschen in die Hände einen akustischen Impuls zur nebenstehenden Person weitergeben. Hierbei blickt der/die impulsgebende Schüler:in in die Richtung, in die der Impuls gegeben wird. Im weiteren Verlauf können zusätzliche Signale die Komplexität und kognitive Anforderung erhöhen. So können ein Doppelklatschen zum Richtungswechsel des Impuls eingeführt werden, oder ein Ducken, um den Impuls auszuweichen und über sich hinweg zur nächsten Person fliegen zu lassen (vgl. Grawunder und Steinberg, 2021, S. 30).

Schülerinnenorientierung/unterstützendes Lernklima – Schmuck und Wertsachen

Sobald die Schüler:innen die Sporthalle betreten, legen sie ihren Schmuck ab und deponieren ihn zusammen mit ihren Wertsachen an einem festgelegten Ort (z. B. umgedrehter Kasten). Schmuck und Piercings, die nicht abgelegt werden können, werden mit Tape abgeklebt. Zusätzlich kann ein:e Schüler:in die Rolle der Schmuckwache übernehmen, die zusammen mit der Lehrkraft darauf achtet, dass jeglicher Schmuck und Wertsachen abgelegt wurden.

WIMASU-Rituale-im-Sportunterricht-Blog
WIMASU-Rituale-im-Sportunterricht-Stehkreis

WIMASU-Rituale-im-Sportunterricht-Regel

Risiken der Einführung und Umsetzung von Ritualen

Neben den zahlreichen positiven Aspekten und Chancen von Ritualen, können bei der Einführung und Umsetzung auch Risiken betrachtet werden. Ein Ritual in einer Lerngruppe zu initiieren kostet die Lehrkraft immer auch Zeit und Energie. Damit Rituale wie ein „Offener Unterrichtseinstieg“ funktionieren, müssen im Vorfeld wichtige organisatorische Regeln besprochen und eingeübt werden (vgl. Genkinger, 2016, S. 4). Genauso muss bedacht werden, dass zur regelmäßigen Ritualpflege Unterrichtszeit aufgewendet werden muss. Dies kann insbesondere im Hinblick auf bewegungsarme Rituale kritisch gesehen werden, welche die zur Verfügung stehende Bewegungszeit eventuell nicht effektiv nutzen.

Bestehende Rituale können auch Kreativität und Neuerungen blockieren. So korrespondieren Rituale immer mit unterschiedlichen Leitideen von Schule in Geschichte und Gegenwart (Hummel und Krüger, 2015, S. 34). Sie können sogar negativ konnotiert sein, wenn sie den Schüler:innen Angst machen und sie bloßstellen. Ihr Einsatz muss stets kritisch reflektiert und auf ihre Zeitgemäßheit hinterfragt werden. Hummel und Krüger nennen hier z. B. das in der Pädagogik und Sportpädagogik kritisierte, lange übliche Ritual des von Schüler:innen selbst bestimmten Wählens zur Einteilung von Mannschaften (vgl. ebd.). Da bei diesem Ritual „Einzelschüler durch ihre Mitschüler bewusst ausgegrenzt und vor aller Augen stigmatisiert werden, denn sportlich-leistungsmäßige Gründe sind maßgebend, zuerst die leistungsstarken Mitschüler in die eigene Mannschaft zu wählen“ (Bauer, 2010, S. 13), ist es aus gegenwärtiger, „pädagogischerzieherischer Position generell abzulehnen“ (ebd.). Zur pädagogisch sinnvollen und gerechten Teambildung gibt es zahlreiche andere Rituale, die anstelle dessen eingeführt werden können (vgl. ebd.; Veit, 2014).

Rituale im Sportunterricht? – Ja, aber immer kritisch hinterfragen!

Rituale sind ein wichtiger Bestandteil von zeitgemäßem, qualitativ hochwertigem Unterricht und guter Schule. Gerade im durch körperlich-performativen Praktiken geprägten Sportunterricht, nehmen sie „eine Brückenfunktion zwischen Individuen, Gruppen und im weiteren Sinn auch Kulturen“ (Hummel und Krüger, 2015, S. 35) ein. Um ihre Funktion zur Verbesserung der Unterrichtsqualität erfüllen zu können wird jedoch deutlich, dass eine reflektierte und hinterfragende Haltung in ihrem Einsatz unumgänglich ist. Rituale müssen auf die Lerngruppe, den Unterrichtsgegenstand, sowie die Beziehung zu und innerhalb der Lerngruppe angepasst werden. Ansichten über „gute“ und gewinnbringende Rituale sind auch immer verbunden mit aktuellen Diskussionen über „guten Unterricht“.

Die Auswahl des für die Lerngruppe passenden, „guten“ Rituals bietet der Lehrkraft eine Chance zur Entwicklung der eigenen Lehrpersönlichkeit und Mitgestaltung von Sportunterricht. Die bewusste Auswahl von Ritualen, die zur eigenen Lehrpersönlichkeit passen, ermöglicht es der Lehrkraft authentisch vor und für ihre Schüler:innen zu sein. Durch den bewussten und reflektierten Einsatz von Ritualen kann jede einzelne Lehrkraft zu zeitgemäßem Sportunterricht beitragen.

Material zur Einführung und Umsetzung von Ritualen


Podcast u.a. zum Thema Rituale.

Wo kann ich den Podcast hören?

WIMASU_Podcast-Logo-04-Sportunterricht

Literatur

Bauer, M. (JAHR). Mannschaften bilden im Sportunterricht – Eine pädagogische Herausforderung für jeden Sportlehrer. In: sportunterricht, 59/2010. S. 12-14. Schorndorf: Hofmann Verlag.

Drosten, S., Veit, J., Walther, C. (2022a, 17. Februar). #02 Kleine Freuden des Sporunterrichts. In: Wir machen Sportunterricht – Der Podcast. Zugriff am DATUM unter: https://podcasts.apple.com/us/podcast/02-kleine-freuden-des-sportunterrichts/id1608080655?i=1000551368091.

Drosten, S., Veit, J., Walther, C. (2022b, 24. März). #04 Startest du deinen Sportunterricht ritualisiert?. In: Wir machen Sportunterricht – Der Podcast. Zugriff am DATUM unter: https://podcasts.apple.com/us/podcast/04-startest-du-deinen-sportunterricht-ritualisiert/id1608080655?i=1000555121446.

Genkinger, D. (2016). Time to Play. Eingeschränkter Zugriff am 12.06.2022 unter https://wimasu.de/shop/time-to-play/.

Grawunder, M., Steinberg, C. (2021). Impulse erhalten und setzen. In: sportpädagogik 6/2021. S. 30-39. Hannover: Friedrich Verlag.

Haupt, B. (2015). Dienstags kurz nach zehn in H…. In: sportunterricht, 64/2015. S. 48-54. Schorndorf: Hofmann Verlag.

Hermann, C., Seiler, S., Niederkofler, B. (2016). Was ist guter Sportunterricht? –

Dimensionen der Unterrichtsqualität. In: sportunterricht, 65/2016. S. 77-82. Schorndorf: Hofmann Verlag.

Hindenburg, F. (2020). Organisationshilfen für die Turnhalle. Eingeschränkter Zugriff am 12.06.2022 unter https://wimasu.de/shop/organisationshilfen/.

Hummel, A., Krüger, M. (2015). Rituale im Sportunterricht – Einführung in das Themenheft. In: sportunterricht, 64/2015. S. 34-35. Schorndorf: Hofmann Verlag.

Karst, H. (2021). Routine versus Ritual. Why does the difference matter? Zugriff am 12.06.2022 unter https://www.letstalkcoaching.com/8407/routine-versus-ritual-why-does-the-difference-matter.

Klieme, E. (2018). Unterrichtsqualität. In: Gläser-Zikuda, M., Harring, M., Rohlfs, C.

(HG). Handbuch Schulpädagogik. S. 393-408. Münster: Waxmann.

Steinmann, P., Seiler, S., Niederberger, L. (2017). Rituale im Kindersport. Zugriff am 12.06.2022 unter https://www.mobilesport.ch/assets/lbwp-cdn/mobilesport/files/2017/01/Rituale_im_Kindersport_d.pdf.

Straub, C. (2015). Die pädagogische Bedeutung von Ritualen. In: sportunterricht, 64/2015. S. 36-40. Schorndorf: Hofmann Verlag.

TSV Waging e.V. (o. D.). Etikette im Dojo (Dodscho). Zugriff am 12.06.2022 unter https://www.tsv-waging.de/images/judo/pdf/judo_etikette_1.pdf.

Van der Hart, O. (1983). Rituals in psychotherapy: Transition and continuity. In: Imber-Black, E. et al. (1993). Rituale. Rituale in Familien und Familientherapie. Heidelberg: Carl Auer Verlag.

Veit, V.-L. (2014). Teams bilden – Tänzerische Gruppeneinteilung. Zugriff am 26.07.2022 unter https://wimasu.de/taenzerische-gruppeneinteilungen/.

Werner, D. (2022). Umziehduell – Sportkönig und Sportkönigin für den Sportunterricht. Zugriff am 12.06.2022 unter https://eduki.com/de/material/505423/umziehduell—sportkoenig-und-sportkoenigin-fuer-den-sportunterricht-methode-belohnungssystem.

Wibowo, J. (2016). Unterrichtsqualität im Sportunterricht. Zugriff am 26.07.2022 unter https://wimasu.de/unterrichtsqualitaet.

Der Autor

Justus Schwenzer ist Lehrer an einem Berufskolleg für Sport, Musik und Englisch in Dortmund. Mit seinem Sportunterricht möchte er den Schüler:innen eine Chance bieten, neue Bewegungs-erfahrungen zu sammeln, als Gemeinschaft zusammen-zuwachsen und ihre Lebens- welt zu bereichern. Außerhalb des Sportunterrichts spielt er Ultimate Frisbee im Verein und nimmt an Turnieren teil.

Impressum

Dieses Dokument korrekt zitieren:

Schwenzer, J. (2022). Rituale im Sportunterricht. Definition, Funktionen,

Beispiele und Bezüge zur Unterrichtsqualität.
Zugriff am Datum unter https://wimasu.de/rituale-im-sportunterricht

Illustrationen/Grafiken: Nao Matsuyama, Julia Schäfer
Herausgeber: Christoph Walther & Janes Veit