Stars des Spitzensports haben, ob gewollt oder nicht, eine Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche. Unzählige Kinder weltweit tragen ein Trikot mit ihren Namen und folgen ihnen auf Social-Media-Kanälen. Neymar da Silva Santos Júnior ist ein solcher Star des Fußballs und ein Zauberer mit dem Ball. Zuletzt fiel er allerdings vor allem aufgrund ständigen Reklamierens, Schauspieleinlagen und Schwalben auf. Jürgen Klopp bezeichnete sein Verhalten in einem Interview als „clever but not cool“. Es mutet wie der Kampf gegen Windmühlen an, wenn im Sportunterricht Fairness eingefordert wird, der medial vermittelte Spitzensport dagegen zeigt, dass es sich lohnt, möglichst clever die Grenzen auszuloten. Wird das Leistungsstreben im Sport verabsolutiert, ist „der Faire der Dumme“, denn Fairness scheint sich genau dann nicht zu lohnen. Auch im Leistungssport gibt es jedoch Vorbilder, die clever und cool zugleich sind.
Wenn ein Foul durch eine Spielerin oder einen Spieler selbst angezeigt wird und dadurch auch Nachteile in Kauf genommen werden, dann ist damit ein Ansehen verbunden, das auf Fairness verweist. Ein prominentes Beispiel liefert Miroslav Klose, der sein Handspiel zugab oder einen ungerechtfertigten Elfmeter nicht annahm und mehrfach mit Fair-Play-Preisen ausgezeichnet wurde.
Was jedoch ist Fairness und wie kann sie im Sportunterricht zum Thema gemacht werden?
Von einer fairnessfördernden Funktion des Sport(unterricht)s kann nicht pauschal ausgegangen werden (Gaum & Haut, 2018) und so gilt auch für die Fairnesserziehung, dass sie nicht per se, also gleichsam „automatisch“ in positiver Weise wirksam wird. Ich beziehe mich im folgenden Text exemplarisch auf das Bewegungsfeld des „Spielens“, allerdings erhält Fairness in sämtlichen wettkampfbezogenen Kontexten eine vergleichbare Bedeutung.
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Fairness: Was ist das?
Folgt man zunächst einer alltagstheoretischen Auslegung, steht Fairness in enger Verbindung zu einer tugendhaften Einstellung (Meinberg, 2009, S. 142) und wird mit Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Respekt verbunden. Diese Eigenschaften sind im zwischenmenschlichen Umgang (auch über den Sport hinaus) Bestandteil einer fairen Haltung und können allgemein als Anstand definiert werden. Eine so weite Auslegung trifft jedoch nicht den Kern des Begriffs, weshalb sich die Frage stellt, was das Besondere des Prinzips Fairness im Sport ausmacht. Dies möchte ich anhand der drei Aspekte (1) Regeltreue, (2) Sportsgeist und (3) beidseitiges Gewinnstreben verdeutlichen (s. Abb. 1).
Ein bedeutender Teilaspekt betrifft die Regeln des Sports. Wer fair ist, hält sich an Absprachen und Regeln und sein Verhalten entspricht damit den formalen Vorgaben. Doch Fairness ist mehr als Regeltreue, denn wer fair ist, beachtet auch die ungeschriebenen Gesetze des Sports. Es reicht also keineswegs, wenn man nicht unfair handelt, um als fair zu gelten. Informelle Fairness betrifft ein Verhalten, das ursprünglich als ritterliche Achtung und heute als Sportsgeist verstanden werden kann (Lenk, 2002). Ein Handeln im Sinne des Sportgeists bedeutet, dass man sich nicht dazu hinreißen lässt, die „Grauzonen“ der Regeln zum Zweck des eigenen Vorteils auszuloten. Gegnerinnen und Gegner werden dann nicht als feindliche Personen angesehen, die zu überlisten sind, sondern als notwendige Spielpartnerinnen und -partner.
Mitunter scheinen sich Erfolg und Fairness jedoch zu widersprechen und für die Spielenden kommt das Dilemma auf, entweder fair oder erfolgreich zu spielen. Baseball Coach Leo Durocher bringt es mit der Aussage „Nice Guys finish last“ auf den Punkt, der ebenso in Lenks Buchtitel von 2002 „Erfolg oder Fairness“ getroffen wird. Stellt man die beiden handlungsleitenden Imperative des Sports „Sieg/Niederlage“ und „fair/unfair“ in einen Zusammenhang (s. Abb. 2), dann ist der „faire Sieg“, das erstrebte Ziel des sportlichen Wettkampfs, einer „unfairen Niederlage“ in jedem Fall vorzuziehen. Prekär ist jedoch das Verhältnis zwischen einem „unfairen Sieg“ und einer „fairen Niederlage“. Aus welchen Gründen sollte Letzteres Ersterem vorgezogen werden? Wenn die faire Niederlage einen Wert hat, dann ist dieser nicht mit dem Ausgang des Spiels verknüpft, sondern im Spielprozess zu verorten (Gaum, 2017). Hieraus folgt, dass der Wert eines Spiels nicht ausschließlich im erzielten Ergebnis, sondern ebenfalls im Prozess des Spielens besteht. Der Witz des Spiels ist „spielen und durch spielen gewinnen“ (Heringer, 1995, S. 58).
Für den Spielprozess gelten zwei Prämissen, die das dritte Merkmal des reziproken Gewinnstrebens beschreiben: (1) Gewinnen wollen ist fair und (2) Wer fair ist, will auch, dass der Gegenüber gewinnen will. Es ist also notwendig, mit ernsthaftem Siegeswillen am sportlichen Wettkampf teilzunehmen – allerdings in dem Bewusstsein, dass dieser Sieg seinen Wert aus dem Prozess fairen Wettkämpfens schöpft, also der Einhaltung aller drei Merkmale. Damit ist Fairness genuin keine moralische Verpflichtung, sondern eine sinnvolle Haltung im Wettkampf, der seinen Wert nicht bloß aus Sieg schöpft, sondern ebenso aus dem Erleben eines fairen Spiels. Fairness ermöglicht Gelingensmomente im Spielen und sichert somit das Kompetenzerleben. Man lässt Gegnerinnen und Gegnern, die als Mitspielende für ein gelungenes Spiel benötigt werden, eine sprichwörtlich „faire Chance“, um das Spielerlebnis qualitativ wertvoll zu machen. Dass man dabei auch verlieren kann, ist gerade der Witz, denn: Wenn man ein Spiel nicht verlieren kann, macht auch das Gewinnen keinen Spaß.
Wie kann Fairness vermittelt werden?
Weder kann Fairness moralisierend heraufbeschworen werden, noch kommt es durch die drastische Erhöhung der Sanktionen zu einer moralischen Einsicht. Sinnvoller ist daher eine Unterrichtsgestaltung, die Schülerinnen und Schüler aktiv einbindet und Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit fördert. Schlussfolgernd liegt der zentrale Ansatzpunkt für Fairnesserziehung in der Art und Weise des Unterrichtens. Das vorgeschlagene Konzept differenziert zwischen dem aktiven Handeln im Prozess (1) und der Reflexion dieses Prozesses (2).
(1) Den Wert fairen Handelns kann nur erleben, wer auch fair handelt, sodass die Kunst der Fairnesserziehung darin besteht, die aktive Auseinandersetzung bzw. praktische Erfahrungen zuzulassen. Wenn Spiele „aus dem Ruder laufen“ ist eine Intervention nicht nur pädagogisch wünschenswert, sondern es ist auch didaktisch sinnvoll, die fehlende Spielqualität zum Thema zu machen. Allerdings besteht die Gefahr, den Spielprozess durch äußere Regulierung und Intervention stark zu kontrollieren, sodass Wertkonflikte bereits im Ansatz der Fremdbestimmung zum Opfer fallen. Wertbezogenes Handeln kann ausschließlich von den Spielenden selbst getragen werden. Sie müssen im Spiel den Regeln treu bleiben, den Sportsgeist beachten und genauso wie das gegnerische Team gewinnen wollen. Obligatorische Rituale (z. B. Handshake/Verbeugung vor/nach dem Spiel; Gratulation/Ermutigung) bieten eine Möglichkeit, für den praktisch schwer greifbaren Sportsgeist zu sensibilisieren.
Zielführend erscheint es, für eine Klasse für Eigenverantwortung zu sensibilisieren und diese auch aktiv zu fördern. Beteiligungsmöglichkeiten liegen insbesondere bei der Erstellung von Regeln, Regelveränderungen oder dem Verfassen eines eigenen Fair-Play-Katalogs. Bezüglich des beidseitigen Gewinnstrebens verhält sich dies sehr ähnlich. Wie oben dargestellt ist ein Spiel dann wertvoll, wenn beide Teams die Möglichkeit haben zu gewinnen. Die Teamzusammenstellung hat daher eine zentrale Bedeutung, bei der die Lernenden aktiv eingebunden werden können, um die Eigenverantwortung am fairen Spiel zu stärken. Wichtig ist, dass diese Maßnahmen von der Schülerschaft mitgestaltet werden und Lehrpersonen diesen Prozess anleiten, begleiten und vermittelnd unterstützen. Schülerinnen und Schüler sollten die Erfahrung machen können, dass sie den entscheidenden Beitrag für ihr eigenes Spiel leisten. Daraus resultiert eine freiwillige Verpflichtung, die vor einem Wettkampf kooperativ ausgehandelt wird, sodass ein faires Spiel als gemeinsame Leistung verstanden werden kann. Eine weitere Möglichkeit, die Eigenverantwortung zu stärken, liegt in der Rolle als Schiedsrichterin bzw. Schiedsrichter im Sinne des Ultimate Frisbee. Durch den „Spirit of the game“ zeigen die Spielenden ein fremdes oder eigenes Foul selbstständig an.
Zuletzt besteht eine große Herausforderung darin, die Bedeutung des Ergebnisses (Sieg und Niederlage) zu relativieren. Wird die Überbewertung des Sieges hinsichtlich der Verpflichtung zur Fairness problematisch gesehen, so muss auch im Schulsport die Verknüpfung des Sieges mit Belohnungen kritisch überdacht werden. Wenn der Eindruck vermittelt wird, dass gute Noten mit siegreichen Ergebnissen verknüpft sind oder Niederlagen zu Abwertungen führen („Der Verlierer räumt die Tore weg“), fördert das ein instrumentelles Fairnessverständnis, bei dem der Zweck (Erfolg) die Mittel (unfaires Handeln) heiligt.
(2) An diese praktischen Erfahrungen im Handeln schließt sich die Reflexion des Prozesses an. Damit Fairnesserziehung ihr Potenzial ausschöpft, sollten Regeltreue, Sportsgeist und reziprokes Gewinnstreben explizit zum Thema gemacht werden, um sie als konstitutive Aspekte des Spiels beachten, reflektieren und auch verstehen zu können. Da Reflexionsphasen der Vorbereitung bedürfen, sind einige Vorschläge für Anregungen aufgeführt:
- Benennt Regeln, gut/nicht gut eingehalten?
- Beschreibt Situationen (im Spiel), in denen der Sportsgeist zu sehen war.
- Versuchen/Versuchten alle zu gewinnen? Woran habt ihr das gemerkt? Warum nicht? Wie war es mit der Chancengleichheit?
- Beschreibt Spiele/Spielsituationen, die ihr als besonders spannend erlebt habt.
- In welchen Situationen handelt jemand fair/unfair?
- Wie verhalten sich Sieger/innen und Verlierer/innen?
Schulsport hat im Gegensatz zu wettkampforientiertem Vereinssport einen größeren Spielraum didaktischer Gestaltungsmöglichkeiten (z. B. Regelmodifikationen, Teamzusammenstellung, Schiedsrichterrolle übernehmen) und bietet darüber hinaus die Möglichkeit, die Wertlosigkeit eines unfairen Sieges zu diskutieren. Es ist bei einem Sieg eben nicht egal, wie dieser zu Stande gekommen ist (Sportsgeist), sodass die Schlussfolgerung „Hauptsache gewonnen“ zu hinterfragen wäre. Wenn die Regeln übertreten oder nur zum persönlichen Vorteil ausgelegt werden, dann handelt man nicht clever, sondern unfair.
Hier bietet es sich an, das Spannungsverhältnis zwischen Erfolg und Fairness (Abb. 1) zum Thema zu machen. Dass die Ausrichtung auf den Sieg als problematisch für die Fairness empfunden wird, sollte nicht dazu führen, dieses spannungsgeladene Verhältnis einseitig auflösen zu wollen. Bildungspotenzial erhalten Wertentscheidungen vor allem in Konfliktsituationen. Wenn ein Scheitern (die Niederlage) nicht möglich ist, besteht auch kein Grund zu fairem Verhalten. Fairness erhält erst in Situationen, bei denen etwas auf dem Spiel steht, ihren spezifischen Wert. Diese Werterfahrung ist zunächst im Handeln zu ermöglichen und in anschließenden Reflexionsphasen aufzugreifen.
- Was hat man von einem unfairen Sieg?
- Wie fühlt sich der betrogene Verlierer?
- Warum ist die faire Niederlage ein/kein Problem?
hne den Anspruch erheben zu wollen, dass diese Fragen mit pauschalen Lösungsrezepten zu beantworten sind, kann folgende praktische Schlussfolgerung den Wert fairen Handelns verdeutlichen: Wer betrogen wurde und verliert, wird kein Interesse an einem weiteren Spiel gegen unfaire Siegerinnen oder Sieger haben, sodass sich diese sich letztlich selbst um die Möglichkeit zukünftiger Spielerlebnisse bringen. Faires Handeln besitzt demnach einen subjektiven Wert, der im Rahmen sozialer Interaktion bedeutsam wird.
Konsequenzen für die Unterrichtsgestaltung
Fairnesserziehung kann nicht den einfachen Weg gehen, der darin besteht, keine Wettkampfformen zu thematisieren (es wird nicht gegeneinander gespielt) oder alle Teilnehmenden zu Siegerinnen und Siegern zu erklären (es ist nicht wichtig wie man spielt). In einem solchen Kontext macht der Begriff Fairness keinen Sinn, denn faires Handeln ist hier tatsächlich wertlos. Fairness erfordert eine Koordination des eigenen Handelns mit dem Handeln anderer in Konkurrenzsituationen. Kurz gefasst: Fairness regelt das Miteinander im Gegeneinander. Das bedeutet nicht, dass kooperative Spielformen im Sportunterricht im Rahmen der Fairnesserziehung grundsätzlich abzulehnen sind, denn Spiele ohne Siegerinnen und Sieger dienen zweifellos der Entlastung von Drucksituationen des Wettkampfs. Die didaktische Inszenierung von Spielformen ohne Gewinnen sollte dann vorbereitend eine Zielorientierung fixieren, die gemeinsames Handeln notwendig macht. Die resultierende Erfahrung vom Wert kooperativen Handelns im Spielprozess ermöglicht beispielsweise in der Primarstufe oder auch bei stark erfolgsfixierten Lernenden einen „sanfteren“ Zugang, um der Ausrichtung des „Gewinnen-Müssens“ entgegenzuwirken. Kontext- und gruppenbezogen ist es also sinnvoll, in Spielprozessen ein gemeinsames Problemlösen anzuregen, das auch im hier entfalteten Vorschlag eine wichtige Handlungsgrundlage bildet. Das Gegeneinander kann dem Miteinander in einem folgenden Schritt zugefügt werden.
Literatur
Gaum, C. (2017). Fairnessverständnis im Amateurfußball. Empirische Untersuchung auf Grundlage eines mehrdimensionalen Fairnessbegriffs. German Journal of Exercise and Sport Research, 47 (4), 348-359.
Gaum C. & Haut, J. (2018). Sportliche Vorbilder? – Welche Werte durch Spitzensportler (nicht) vermittelt werden. Zeitschrift für sportpädagogische Forschung. 6 (1), 5-28.
Heringer, H. J. (1995). Fairneß und Moral. In V. Gerhardt & M. Lämmer (Hrsg.), Fairness und Fair play (S. 55-67). Sankt Augustin: Academia.
Lenk, H. (2002). Erfolg oder Fairness? Leistungssport zwischen Ethik und Technik. Münster: Lit.
Meinberg, E. (2009). Leistung und Moral. Zur Genealogie einer modernen Leistungsethik. Berlin: Lit.
Der Autor
Aktuell leitet Dr. Christian Gaum die Abteilung Sportpädagogik und Sportdidaktik am Institut für Sportwissenschaft der CAU Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte drehen sich um ethische und ästhetische Aspekte des Sports. Hierbei ist die Konzentration auf den Begriff Fairness in den Kontexten Schule, Verein und Spitzensport zentral. Den Sportsgeist pflegt Christian gerne auf dem Tennisplatz und beim Lesen sozialwissenschaftlicher Klassiker.
Impressum
Dieses Dokument korrekt zitieren:
Gaum, Ch. (2019). Fairness im Sport – Regeltreue, Sportsgeist und Gewinnstreben. Zugriff am 21.11.2024 unter https://wimasu.de/fairness/Illustrationen/Grafiken: Nao Matsuyama, Julia Schäfer
Herausgeber: Christoph Walther & Janes Veit
Lektorat: K. Heinz; L. Boe