Der folgende Beitrag führt mit Fragen und Antworten durch das Wissen über das Dehnen im Schulsport, insbesondere wenn es Teil der Aufwärmphase sein soll. Du erfährst etwas über verschiedenen Möglichkeiten zu Dehnen und deren Wirkung.
Unterrichtsreihe zum Thema
1 Was meinen Sportler:innen eigentlich mit Dehnen bzw. Stretching?
Dehnen und Stretching sind Teil des Beweglichkeitstrainings. Die Beweglichkeit ist dabei die Fähigkeit, große Schwingungsweiten bzw. Bewegungsamplituden einzelner oder mehrere Gelenke zu realisieren.
Wie beweglich man ist, hängt zum einen von den passiven Strukturen, den Gelenken und Bändern ab. Das bezeichnet man als Gelenkigkeit. Zum anderen hängt die Beweglichkeit mit der Dehnfähigkeit der Muskulatur zusammen. Während die Gelenkigkeit wenig trainierbar ist bzw. Menschen verschiedene anatomische Dispositionen aufweisen, ist die Dehnfähigkeit der Muskulatur gut trainierbar. Das Training der muskulären Dehnfähigkeit nennt man Dehnen bzw. Stretching.
Dynamisches vs. statisches Dehnen
Beim Dehnen unterscheidet man zwei Dimensionen: die dynamische und statische Dehnung, sowie die aktive und passive Dehnung.
Wird der zu dehnende Muskel, der sogenannte Agonist, schwingend, federnd oder wippend in die maximale Dehnposition geführt, spricht man von dynamischem Dehnen. Wird die Endposition langsam eingenommen und dann gehalten, spricht man von statischem Dehnen.
Wird die Dehnung nur mithilfe der Kontraktion des direkten muskulären Gegenspielers (dem Antagonisten) realisiert, spricht man von „aktivem Dehnen“. Helfen Schwerkraft oder ein Gerät bzw. ein oder eine Partner:in, so nennt man das „passives Dehnen“. Daraus resultieren vier Arten des Beweglichkeitstrainings, das aktiv-dynamische und aktiv-passive sowie das passiv-dynamische und das passiv-statische Dehnen. Eigentlich wird nur das „passiv-statische“ in der deutschsprachigen Literatur häufig auch als Stretching bezeichnet, wohingegen der Begriff Stretching in der englischsprachigen Literatur alle Arten des Beweglichkeitstrainings umfasst (vgl. Schiemann & Pargätzi, 2016, S. 123). Wir verwenden die Begriffe Dehnen und Stretching synonym.
Für die Umsetzung im Schulsport erscheint es sinnvoll, lediglich zwischen den Dimensionen dynamisch und aktiv zu unterscheiden, da eine Unterscheidung, ob die Muskulatur aktiv oder mit Hilfe der Schwerkraft in die Dehnposition gebracht bei vielen Übungen nicht relevant ist. Partnerhilfen sind zudem im Schulsport nicht zu empfehlen (siehe Abschnitt 4).
Das passiv-statische Dehnen ist auch die Trainingsform, die die meisten Sportlehrkräfte aus dem eigenen Sportunterricht der 80er- und 90er-Jahre kennen. Das Bild des „Dehnkreises“ (alle stehen im Kreis und machen verschiedene Dehnübungen nach) hat sich daher als Dehnen kulturell in der deutschen Sportpraxis etabliert und war aus den Aufwärmprogrammen vieler Sportarten nicht mehr wegzudenken. Allerdings hat sich das Dehnen gewandelt und das statische „Halten“ kam zu Beginn der 2000er-Jahre deutlich in Verruf. Ein solches Dehnen reduziere die Ruhespannung und dadurch die Schnellkraftleistungen. Ebenfalls sei eine Verletzungsprophylaxe nicht gegeben. Infolgedessen entstand eine große Verunsicherung bezüglich des Beweglichkeitstrainings (vgl. Klee, 2013). Das Training der Beweglichkeit rückte immer mehr aus dem Fokus des breitensportlichen Aufwärmtrainings. Teilweise hatte dies zur Folge, dass das Beweglichkeitstraining (im Sportunterricht) komplett ausgelassen wurde.
Mithilfe neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse, aber auch durch die sich immer weiter verbreitende Yoga-Bewegung, in der Dehn- und Kräftigungsübungen ein Hauptbestandteil der Sportart ausmachen, ist das Beweglichkeitstraining vor allem in dynamischer bzw. „flowiger“ Form wieder in den Fokus gerückt.
Dehnen vor dem Sprinten? Ist das nicht falsch?
Daher wurde in der Sportpraxis der Sportarten mit hohem Schnellkraftanteil der Empfehlung nachgegangen, auf ein ausführliches (statisches) Stretchingprogramm im Vorfeld zu verzichten (Schiemann und Pargätzi, 2016, 130f). Alternativ kann jedoch im Nachgang des Dehnprogramms die Schnellkraftleistung durch tonisierende Übungen (siehe spezifisches Aufwärmen) wieder angehoben werden (Klee, 2013; Wiemeyer 2007).
Fazit: Die Abnahme der Schnellkraftleistung durch Dehnen erscheint für den Sportunterricht nicht relevant, insbesondere wenn ein Aufwärmprogramm etabliert wird, in dem im Anschluss des Dehntrainings spezifische schnellkräftige Übungen durchgeführt werden.
2 Was bewirkt das Dehnen?
Ist es dir schon mal aufgefallen? Die Beweglichkeit eines Babys ist einfach phänomenal. Die Beweglichkeit ist eine Fähigkeit, die vom Kindes- zum Erwachsenenalter automatisch abnimmt, wenn sie nicht trainiert wird (Weineck, 2019, S. 705). Die regelmäßige Förderung der Beweglichkeit ist wünschenswert und notwendig, um diese Entwicklung auszugleichen (Klee, 2003, S. 16). Eine gute Beweglichkeit ist zudem eine elementare Voraussetzung für die Realisierung sportmotorischer Bewegungsabläufe und kann sich positiv auf die Entwicklung weiterer physischer Leistungsfaktoren und das Erlernen sportlicher Fertigkeiten und Techniken auswirken (vgl. Schiemann und Pargätzi, 2016, S. 126). Weiterhin nachgewiesen ist ein erhöhtes Wohlbefinden nach dem Dehnen (vgl. Klee & Wiemann, 2013).
Mittlerweile „herrscht Einigkeit darüber, dass grundsätzlich jede Methode (des Dehn-trainings; MJ) eine Vergrößerung der Bewegungsamplitude und damit eine Verbesserung der Beweglichkeit ermöglicht“ (Schiemann & Pargätzi, 2016, S. 125). Generell können mit einem Dehntraining sogar mehr Effekte als lediglich die Vergrößerung der Bewegungsamplitude erzielt werden. Dazu ist es jedoch notwendig, zwischen kurzfristigen Effekten, also Effekten direkt nach dem Dehnen und langfristigen Effekten, also einem über mehrere Wochen regelmäßig ausgeführtem Dehntraining zu entscheiden (vgl. Klee & Wiemann, 2007, S. 4).
So zeigt sich, dass Dehnen lang- aber auch kurzfristig die maximale Dehnspannung vergrößert und dadurch auch einen Anstieg der Bewegungsreichweite bewirkt. Die sogenannte Ruhespannung des Muskels nimmt nach dem Dehnen ab, wohingegen dieser Effekt nach einer Stunde wieder abgeklungen ist. Klee & Wiemann (2007, S. 6f.) betonen, dass die Ruhespannung nach einem langfristigen regelmäßigen Training sogar zunimmt. Daher sei ein reines Dehntraining ungeeignet, um muskuläre Dysbalancen zu korrigieren. Hierzu sei zwangsweise eine Kräftigung der antagonistisch wirkenden Muskulatur notwendig.
Die Ergebnisse von Untersuchungen bezüglich Verletzungen und Dehnen sind ebenso kontrovers. Hier zeigt sich, dass sich insbesondere Zerrungen der Muskulatur reduzieren lassen, wenn diese dynamisch gedehnt wurde (Klee, 2013, 4).
Abschließend sollte noch erwähnt werden, dass durch Dehnmaßnahmen insbesondere auch das Wohlbefinden ansteigen kann, was auch für den Schulsport relevant sein kann.
3 Gehört Dehnen zum Aufwärmen dazu?
Grundsätzlich ja! Das Dehnen ist je nach Sportart bzw. Inhalt des Sportunterrichts unterschiedlich wichtig (vgl. Klee et al., 2013, 4):
- Für Sportarten, bei denen maximale Beweglichkeit wichtig ist, ist intensives Dehne n im Aufwärmprogramm unbedingt notwendig. Hierzu gehören z.B. Turnen, Hürdenlauf, Bouldern, Tanzen etc.
- Bei Sportarten mit schnellkräftigen Bewegungen und großen Gelenkbewegungen (z.B. Handball, allg. Werfen, Tennis, Badminton, Fußball etc.) ist ein aktiv-dynamisches Dehnen mit fließenden, federnden, submaximalen Übungen sinnvoll (á 6-10 Wiederholungen pro Seite). Die Begründung liegt in der Verletzungs-prophylaxe (Vorbeugung von Zerrungen) und in der Leistungssteigerung durch mehr Beweglichkeit (Zunahme des Beschleunigungsweges). Maximales und statisches Dehnen sind hier eher nicht sinnvoll.
- Bei lockeren Bewegungen oder anderen Sportarten (z.B. Joggen, Schwimmen, Flummigolf) ist Dehnen von geringerer Bedeutung. Im Sinne einer Ritualisierung und der Sinnhaftigkeit eines lebenslangen Beweglichkeitstrainings kann ein regelmäßiges Dehnen (und Kräftigen) allerdings von Vorteil sein. Natürlich lässt sich das Dehnen dann auch mal ausführlicher als Cool-Down durchführen.
4 Worauf sollte beim Dehnen im Schulsport geachtet werden?
Es haben sich verschiedene Dehnmethoden etabliert, die jedoch fließend ineinander übergehen und in der Praxis nicht vollständig trennscharf sind.
- a) Dynamisches Dehnen
- b) Statisches Dehnen
- c) PNF-Dehnmethoden
- a. AC Stretching – Antagonist wird beim Dehnen angespannt
- b. CR-Stretching – Zielmuskel wird vor dem Dehnen maximal angespannt
- c. CR-AC-Stretching – Kombination aus a. und b.
Welche Stretching-Methode ist nun die beste für die Schule?
Generell gilt es zwischen dynamischem und passivem Dehnen abzuwägen, wobei die Empfehlungen hin zum dynamischen Dehnen gehen, da funktionale, dynamische Übungen eine größere Nähe zu den Sportarten im Hauptteil der Stunde aufweisen. Dynamisches Dehnen ist auch hinsichtlich seiner Effektivität wirkungsvoller als das rein statische Dehnen (vgl. Schiemann & Pargätzi, 2016, S.125). Dennoch sollte nach Klee & Wiemann (2012, S. 150) im Rahmen der Aufgabenvielfalt nicht komplett auf ein statisches Dehnen verzichtet werden.
Die PNF-Methode ist eine Technik, die darauf abzielt, die Dehnfähigkeit der Muskeln zu erhöhen und die neuromuskuläre Kontrolle zu verbessern. Dabei werden Muskeln erst aktiv angespannt und dann passiv gedehnt. Dieser Prozess besteht aus einer Kombination von Kontraktion und Dehnung und ist als Methode dem reinen statischen und dynamischen Dehnen hinsichtlich der Effektivität überlegen (Schiemann). Bei den PNF-Methoden unterscheidet man noch zwischen AC-, CR- und CR-AC-Methoden, wobei lediglich das AC-Stretching für den Schulsport als potenziell umsetzbar erscheint (möglicherweise im Rahmen eines Sport-LKs).
Bezüglich des aktiven und passiven Dehnens ist für den Sportunterricht deutlich die Empfehlung in Richtung des aktiven Dehnens zu geben, während bezüglich des passiven Dehnens auf partner- und gerätegestützte Unterstützung verzichtet werden sollte. Kinder und Jugendliche können häufig nicht einschätzen, wie sich der Dehnschmerz bei Paarübungen verhält.
Im Aufwärmen können die Dehnzeiten deutlich kürzer sein, als für ein langfristiges Beweglichkeitstraining. Folgende Empfehlungen bzw. methodische Hinweise zum Dehnen im Schulsport bzw. bei Kindern möchten wir geben (nach Klee & Wiemann 2012, S. 150 ff., Weineck, 2019)
- geringe bis mittlere Intensität, die von den Kindern jeweils selbst bestimmt werden kann (Dehnen unterhalb der Schmerzgrenze, obwohl es effektiv ist, an diese heranzugehen)
- kurze bis mittlere Dauer (8-15 Sekunden Haltezeit bzw. 8-15x dynamisch Federn bei 6-10 Übungen)
- geringe Wiederholungszahl von 1-3 drei Sets
- häufiger Wechsel der Aufgabenstellung, statische und dynamische Übungen mischen, komplexe Übungen, die große Muskelgruppen beanspruchen, sind lokalen Übungen vorzuziehen.
- auf Partnerübungen sollte verzichtet werden, weil der Belastungsgrad bzw. die individuelle Beanspruchung von außen nur schwer eingeschätzt werden kann.
Um die Platzierung des Beweglichkeitstrainings innerhalb der Sportstunde im Rahmen des Aufwärmprogramms oder am Ende der Stunde (im Rahmen des Cool-Downs) zu klären, sprechen einige Gründe für die Platzierung im Aufwärmprogramm: Durch das Dehnen werden die im Hauptteil beanspruchten Muskeln spezifisch vorbereitet und auch der geistige Fokus kann speziell auf den Hauptteil gerichtet werden. Zudem sorgt der Phasenwechsel für eine abwechslungsreiche Gestaltung der Stunde. Für eine Platzierung im Cool-Down spricht die häufig wahrgenommene beruhigende Wirkung des Be-weglichkeitstrainings. In der Realität der Praxis ist jedoch in der Regel für ein ausgiebiges Cool-Down wenig Zeit.
Studien zeigen, dass bereits ein fünfminütiges Dehnprogramm zu signifikanten Verbesserungen der Beweglichkeit führen kann (Weineck, 2019) Eine kurze Integration im Aufwärmprogramm der Unterrichtsstunde ist daher sinnvoll.
Literaturverzeichnis
Hohmann, A., Lames, M. & Letzelter, M. (2007). Einführung in die Trainingswissenschaft. Wiebelsheim: Limpert.
Klee, A. (2003). Methoden und Wirkungen des Dehntrainings. Schorndorf: Hofmann.
Klee, A. (2013). Update Dehnen. Sportunterricht, 62 (5), 1-5.
Klee, A. & Wiemann, K. (2005). Beweglichkeit / Dehnfähigkeit. Schorndorf: Hofmann.
Klee, A. & Wiemann, K. (2007). Methoden und Wirkungen des Dehnungstrainings. Zugriff am 10.04.2015. Verfügbar unter http://www.biowiss-sport.de/Klee%20Wiemann%20Oostende2.pdf
Klee, A., & Wiemann, K. (2012). Dehnen – Training der Beweglichkeit. Schriftenreihe Praxisideen, Verlag K. Hofmann, Schorndorf, 2. erweiterte Auflage.
Klee, A. (2023). Dehnen: Mit Schwung Muskelverletzungen reduzieren? Sportpraxis, 55-58.
Schiemann, S. & Pargätzi, J. (2016). Beweglichkeitstraining im Schulsport. In G. Thienes & M. Baschta (Hrsg.), Training im Schulsport (S. 116–138). Schorndorf: hofmann.
Thienes, G. & Baschta, M. (Hrsg.). (2016). Training im Schulsport. Schorndorf: hofmann.
Weineck, J. (2019). Optimales Training. Balingen: Spitta.
Wiemeyer, J. (2007). Zur zeitlichen Stabilität der negativen Effekte statischen Dehnens auf Schnellkraftleistungen. In J. Freiwald, T. Jöllenbeck & N. Olivier (Hrsg.), Prävention und Rehabilitation (319 326). Köln: Strauß.
Die Autoren
Matthias Jünger ist begeisterter Studienrat an einem Gymnasium in Frankfurt am Main. Wenn er nicht neue Intensivierungsstrategien für das Bankdrücken entwirft oder Ableitungen berechnet, spielt er am liebsten Handball oder überlegt sich, wie er die Theorie am besten in die Praxis bekommt.
Christoph Walther ist Mathematik und Sportlehrer am Gymnasium. Im Unterricht ist er Fan von Vorhaben, bei denen Schüler:innen ihre Selbständigkeit trainieren. Als Ü40 hat er nun endlich den Sinn des Aufwärmens für sich entdeckt – nicht nur im Sportunterricht.
Impressum
Dieses Dokument korrekt zitieren:
Jünger , M. & Walther, Ch. (2024). Dehnen im Schulsport – Fragen und Antworten. Zugriff am 21.11.2024 unter https://wimasu.de/dehnen-im-schulsport-fragen-und-antworten/
Illustrationen/Grafiken: Larissa
Damjanovic
Herausgeber: Christoph Walther & Janes Veit
Lektorat und Mitarbeit: Simon Drosten