Auf zur Wunschstunde!

Regeln im Sportunterricht einführen und gemeinsam einhalten

Wie Schülerinnen und Schüler anlassbezogen die Notwendigkeit einzelner Regeln erkennen und diese über ein – gemeinsam entwickeltes – Belohnungssystem einüben

Überblick

Wünschenswert ist es, wenn Regeln nicht nur als starres System zu verstehen sind, sondern anlassbezogen eingeübt und gegebenenfalls auch modifiziert werden. Im Sportunterricht speziell kommt hinzu, dass Schul- oder Klassenregeln für den Klassenraum nicht immer zu den Begebenheiten der Sporthalle passen. Insofern ist für den Sportunterricht oft eine Anpassung bzw. Spezifizierung von allgemeinen Regeln nötig. Dies bietet die Chance, mit Schüler:innen ins Gespräch zu kommen und zu überlegen, welche Regeln für den Sportunterricht wichtig sind.

Im Folgenden Beitrag möchte ich aufgrund eigener praktischer Erfahrungen darstellen, wie Regeln mit Schüler:innen gemeinsam und anlassbezogen im Sportunterricht konkretisiert und dann mit einem Belohnungssystem eingeübt werden können.Die Grundidee ist, dass die Lerngruppe für positives Verhalten Punkte erhält und ab einer bestimmten Punktezahl dann eine Stunde zur freien Verfügung und eigenen Gestaltung erhält (vgl. Achtergarde, 2012). Das Verfahren wurde schon 2012 in der Sportpädagogik vorgestellt, kann aber weiterhin gute Dienste leisten, da die Motivation der Schüler:innen für eine Sportstunde nach eigenen Wünschen in der Regel sehr groß ist. Es ergeben sich zwei Bereiche, in denen die Schüler:innen im System Einfluss nehmen können:

  1. Bei der Entwicklung der Regeln für den Sportunterricht
  2. Bei der Entscheidung, wie die Wunschstunde gestaltet werden soll.

In den letzten Jahren hat sich in meinem eigenen Unterricht die Entwicklung von Regeln eigentlich nie als Problem herausgestellt; wichtiger ist der Punkt, wie eigentlich eine motivierende Wunschstunde ablaufen kann und soll. Hier zeigt sich, wie heterogen die Schülerschaft in ihren Wünschen und Vorstellungen mittlerweile ist. Es ist gar nicht so einfach, eine für alle attraktive Stunde zu gestalten.

Ich möchte mit meinen Erfahrungen aus den letzten Jahren einen möglichen Weg aufzeigen, damit die Regeleinführung und -einhaltung im Sportunterricht gelingen kann.

Ein möglicher Ablauf

Regeln aus dem Klassenraum in die Sporthalle transportieren

„Warum sollen wir hier ruhig sitzen, ich will Sport machen.“

Sportunterricht in der 6. Klasse. Robin ist ein Wirbelwind und in Gesprächsphasen kaum zu bändigen. Mit seinem Verhalten zieht er einige Mitschüler, die eigentlich gut zuhören können, auf seine Seite. Eine Regel für „ruhiges Sitzen“ gibt es nicht im Klassenregelkatalog. Was tun?

Als Lehrkraft möchte ich in dieser Stunde die Erfahrungen der Schüler*innen mit selbst entwickelten kleinen Spielen zusammentragen. Das muss doch möglich sein; bei einem Blick auf die Uhr merke ich aber, dass das Gespräch doch schon fast 10 Minuten lang läuft. Als ich Robin und einige andere aus der Klasse wieder zusammengetrommelt habe, sind fast 15 Minuten vorbei. Das verärgert andere Schüler:innen, die ruhig gewartet haben. Denn am Ende der Stunde sollte es einen schönen Ausklang geben, falls die Zeit dafür reicht.

Eine solche Situation ist gut dafür geeignet, sich einmal in Ruhe über das Problem zu unterhalten. 

Regel-Belohnungssystem wird eingeführt

Ich starte das Regel-Belohnungssystem dann, wenn ein konkreter Anlass in meinem Unterricht besteht. Zum Beispiel können in einer Gesprächsphase größere Probleme auftreten, wenn die Schüler:innen sich nicht zuhören und einige Schüler:innen das Gespräch massiv stören.
Ein ruhiges Gespräch ist direkt nach einem Konflikt oft nicht möglich. Daher gebe ich den Schüler:innen als Denkaufgabe mit, über das Problem nachzudenken und sich eventuell auch schon zu überlegen, wie ähnliche Situationen in Zukunft vermieden werden können.
Je nach Stimmungslage kann es aber schon in der Stunde selbst möglich sein, gemeinsam mit den Schüler:innen das aufgetretene Problem zu besprechen.

Meine Schüler:innen benennen folgende Probleme:

„Gesprächsphasen dauern zu lange.“

„In den Gesprächsphasen sind einige von uns zu unruhig. Das zieht auch noch einmal alles in die Länge.“

„Eigentlich sind es nicht zu viele Gespräche, aber ich kann schlecht ruhig sitzen, wenn ich keinen festen Sitzplatz habe.“

Nach der Analyse der Ursachen stellt sich schnell heraus, dass eine Regel wie „Wir sind in Gesprächsphasen ruhig und hören anderen zu“ wichtig ist, damit Unterrichtsgespräche sinnvoll ablaufen können. Es werden auch Wünsche an mich als Lehrer deutlich, z. B.

  • fester Sitzplatz
  • nicht zu lange Gesprächsphasen

Bezogen auf den Sitzplatz ergibt sich nach einem kurzen Meinungsbild, dass dies für viele Schüler:innen von Bedeutung ist. Es wird vereinbart, für Gespräche ein Bankdreieck zu nutzen. In den Sport-Stunden soll außerdem nur einmal ein längeres Gespräch stattfinden.

Anmerkung: In anderen Lerngruppen können auch andere Lösungen sinnvoll sein. So ist es z. B. auch möglich, immer den gleichen Kreis des Basketballfelds als Treffpunkt zu nutzen.

Durch das Entgegenkommen und die Diskussionsbereitschaft vom Lehrer steigt spürbar die Bereitschaft, sich auf die herausgestellte Regel einzulassen.
An dieser Stelle ergibt sich die Möglichkeit, das Belohnungssystem einzuführen. Dies stößt bei den Schüler:innen erst einmal auf große Zustimmung.

„Dann können wir eine ganze Stunde lang machen, was wir wollen? – Super!“

Belohnungssystem wird – gemeinsam – angepasst

Die Schüler:innen, die in der Vergangenheit in Gesprächsphasen gestört haben, bemühen sich sehr um eine Änderung ihres Verhaltens. Wenn doch mal jemand aufspringt, wird er von den anderen schnell ermahnt. „Setz dich hin, wir wollen doch eine Stunde zu unserer freien Verfügung erhalten.“

Am Ende der Stunde gebe ich den Schüler:innen eine Rückmeldung zum Verhalten – bezogen auf die ausgewählte Regel. Schon früh kommt es zu der ersten Stunde, die die Schüler:innen selbst bestimmen können.

Schnell einigt man sich in der Gruppe auf zwei Spiele, Zombieball und Zahlenfußball, die in der kommenden Stunde (über 60 Minuten) gespielt werden sollen.

Ich lasse den Schüler:innen in dieser Wunschstunde viele Freiheiten und sorge nur für den organisatorischen Rahmen (An dieser Stelle wäre es sicherlich auch möglich, die Stunde noch mehr in die Hände der Gruppe zu legen und z. B. auch selbst für Feldermarkierungen, Mannschaftswahl etc. zu sorgen. Dies sorgt jedoch meiner Erfahrung nach – je nach Gruppe – manchmal auch für Verzögerungen und Spannungen, die nicht im Sinne eines belohnenden Charakters sind).

Andere Regeln kommen auf den Prüfstand

In der angesprochenen Lerngruppe bleibt die Einhaltung der beschriebenen Regel lange Zeit der Maßstab für die Vergabe von Punkten für Wunschstunden. Da in der Klasse ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen mir und der Klasse herrscht, hole ich mir auch regelmäßig Rückmeldung zu meinem Unterricht ein, in diesem Fall speziell zur Gestaltung und Dauer von Unterrichtsgesprächen. In anderen Klassen wäre es vielleicht nicht gleichermaßen sinnvoll, solche Aspekte mit jüngeren Schüler:innen zu besprechen. Ich wähle das schnelle Verfahren der Daumenprobe und frage nur genauer nach, wenn viele Daumen abwärts gerichtet sind.

Bei einer Unterrichtsreihe zur Entwicklung eigener Spiele fällt auf, dass viele Schüler:innen die Regellücken bei den selbst erfundenen Spielen sehr für ihren eigenen Vorteil ausnutzen und es oft zu Konflikten kommt. In einem Gespräch, ähnlich wie oben beschrieben, wird eine neue Regel entwickelt und in den kommenden Sportstunden als Grundlage für das Belohnungssystem genutzt.

„Wir verhalten uns in Spielen den anderen gegenüber fair.“

Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, immer nur eine oder zwei Regeln mit dem Belohnungssystem zu koppeln. Auf diese Weise kann ich den Schüler:innen eine genauere Rückmeldung mit konkreten Verbesserungsmöglichkeiten zu ihrem Verhalten geben, als wenn ein ganzer Regelkatalog Grundlage für die Bepunktung ist.

Das Belohnungssystem wird angepasst

„Immer nur Zombieball und Zahlenfußball – das ist öde.“

Dieser Satz bringt die Problematik frei nutzbarer Wunschstunden auf den Punkt. Wenn einzelne Spiele sehr beliebt sind und Wunschstunden nach dem Mehrheitsprinzip gestaltet werden, birgt das die Gefahr, dass immer wieder ähnliche Spiele gespielt werden. In der beschriebenen Lerngruppe ist es ebenfalls so, dass sich die Stimmen derer mehren, die gern mehr Abwechslung hätten. Dennoch ist insbesondere die Zahlenfußball-Fraktion so groß, dass dieses Spiel bisher immer gespielt wurde.

Ich nutze die unzufriedenen Bemerkungen einiger Schüler:innen, um mit der Lerngruppe in ein Gespräch zu kommen. Dabei ist es nicht sinnvoll, eine Wunschstunde selbst zu „zerreden“. Besser ist es, das Problem kurz zu benennen und in der Stunde danach über die Unzufriedenheit zu sprechen und nach Lösungen zu suchen. Es kann auch „Hausarbeit“ sein, sich ein besseres Verfahren für die Wunschstunden zu überlegen.  In Kleingruppen können sich die Schüler:innen zu den Möglichkeiten austauschen, wie alle Schüler:innen mehr Freude an den Wunschstunden haben können. Nach maximal 10 Minuten Bedenkzeit soll jede Gruppe einen konkreten Vorschlag machen.

In meiner Lerngruppe werden viele Ideen entwickelt.

  1. Jede:r Schüler:in schreibt eine Idee für die Wunschstunden auf. Die Ideen der Liste werden der Reihe nach genutzt.
  2. Zombie und/oder Zahlenfußball werden maximal in jeder dritten Wunschstunden gespielt.
  3. Bildung von kleineren Gruppen, die für die Wunschstunden entscheiden, was gemacht wird und gleichzeitig „Spielorganisatoren“ in diesen Stunden sind.
  4. Die in der aktuellen Reihe entwickelten „Kleinen Spiele“ werden für die Wunschstunden genutzt.

Idee „Nr. 3“ (Gruppen bestimmen den Inhalt der Wunschstunden) gefällt den Schüler:innen am besten. Die Gruppen finden schnell nach gemeinsamen Interessen zusammen. Es wird auch gemeinsam überlegt, eine Ideen-Liste aufzustellen (Idee Nr. 1), die aber keinen verbindlichen Charakter haben soll. Auch die Idee Nr. 2 wird aufgegriffen, damit es auf jeden Fall zu mehr Abwechslung kommt.

Fazit

Mit der angepassten Form für die Gestaltung der Wunschstunden funktioniert das Regel-Belohnungssystem bis zum Ende des Halbjahrs gut. Die Gruppen, die für die Ausgestaltung und Organisation der Wunschstunden zuständig sind, geben sich zum großen Teil viel Mühe, sodass nur wenig Hilfestellung durch den Lehrer nötig ist.

Auch der Fokus auf einzelne Regeln ist sehr hilfreich. An Stellen, wo es den Schüler:innen schwerfällt, Regeln einzuhalten, werden – zum Teil gemeinsam – Rituale entwickelt und zusätzlich individuelle Hilfestellungen gegeben, um das Einhalten von Regeln zu erleichtern.

Der Einsatz des beschriebenen Belohnungssystems erfordert einen gewissen zeitlichen Aufwand. Außerdem wird der zum Teil kleine Freiraum, den der Lehrplan neben den obligatorischen Inhalten lässt, durch Wunschstunden reduziert. 

Gegebenenfalls werden auch Unterrichtsvorhaben an ungeeigneter Stelle unterbrochen (z. B. Stunden für notwendige punktuelle Bewertungen). Daher ist eventuell ein Veto der Lehrperson sinnvoll, um Wunschstunden um 1-2 Stunden verschieben zu können. 

Meine Erfahrung ist, dass sich der Aufwand lohnt, da das Vorgehen sehr schülerorientiert ist und auch einer aktuell stark eingeforderten Demokratieerziehung gerecht wird. Die Lehrperson sollte den Diskussions- und Handlungsspielraum bei der Einführung der Regeln und der Ausgestaltung der Wunschstunden aber stark von der konkreten Lerngruppe abhängig machen.

Der Autor

Frank Achtergarde unterrichtet am Wilhelm-Hittorf-Gymnasium in Münster und ist Fachleiter für Sport.

Impressum

Dieses Dokument korrekt zitieren:

Achtergarde, Frank (2021). Auf zur Wunschstunde. Zugriff am 19.04.2024 unter https://wimasu.de/auf-zur-wunschstunde/

Redaktion: Janes Veit und Christoph Walther

Illustrationen/Grafiken: Julia Schäfer
Herausgeber: Christoph Walther & Janes Veit
Lektorat: Marco Wolfgramm

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