Das Schwimmen oder allgemein das Sich-Bewegen im Wasser ist sowohl für Kinder als auch für Erwachsene mit vielen Emotionen verbunden. Für die einen stellt das Bewegen im Schwimmbecken oder in Seen eine unangenehme Betätigung dar oder löst gar Angst aus, andere hingegen «suhlen» sich gerne in der Schwerelosigkeit. Wiederum andere kennen Schwimmen hauptsächlich als Leistungssport, inklusive Techniktraining und Wettkampf. Wobei ich hier gleich eine Einschränkung machen muss. Aus der Perspektive des Schwimmunterrichts an Schulen wird unter «Schwimmen» mehrheitlich alles subsumiert, was im Frei- oder Hallenbad als Sport ausgeübt werden kann. Aus der Sicht des Bewegungslernens und der motorischen Kompetenzen haben aber z.B. Wasserspringen und die vier Schwimmstile nur wenig gemein (vgl. u.a. Göhner, 1979). Selbstverständlich brauchen Synchronschwimmer:innen genauso, wenn nicht sogar mehr, ein «Wassergefühl», auf das im Folgenden spezifisch eingegangen wird. Der Fokus liegt dabei allerdings vorwiegend bei den vier Schwimmstilen.
Betrachtet man das Schwimmen von der «Sache» her, also mit Fokus auf die spitzensportlichen Lösungen zum Bewegungsproblem der (schnellen) Fortbewegung im Wasser im Sinne eines bestimmten Stils, kann zwischen Kernelementen, Kernbewegungen und Zielformen respektive Formfamilien unterschieden werden (vgl. Abbildung 1).
Die Kernelemente bezeichnen die Bewegungen bezüglich des Elements Wasser und sind die Basis für jegliches Bewegen im Wasser. Die Kernbewegungen beschreiben die zentralen und wichtigsten Bewegungen in den einzelnen Zielformen. Die Kernelemente und Kernbewegungen sind gleichsam konstitutiv für das Bewegen im Wasser. So kann man sich z. B. das Schwimmen ohne Arm- oder Beinbewegungen kaum vorstellen. Die Zielformen sind die Wettkampfformen, wie sie im Schwimmen durch verschiedene Schwimmstile zum Ausdruck kommen.
Das Modell kann in didaktischer Hinsicht in zwei Richtungen verwendet werden. Im Sinne der Einführung in das Schwimmen kann von „innen-nach-außen“ zuerst eine Wassergewöhnung mit Fokus auf die Entwicklung eines Wassergefühls erfolgen. Dabei würden zuerst grundlegende Aspekte des Atmens, des Gleitens, des Antreibens und des Schwebens thematisiert werden und anschließend auf verschiedene Möglichkeiten bei den Kernbewegungen eingegangen werden. Dabei würden zunächst möglichst viele verschiedene Ausprägungen der Arm-, Bein-, Atem- und Körperbewegungen im Vordergrund stehen, bevor auf spezielle Zielformen eingegangen wird. Eher von „außen-nach-innen“ gedacht können die verschiedenen Aspekte der Kernbewegungen und Kernelemente auch zum Feedbackgeben und zur Fehlerkorrektur beim Lehren der verschiedenen Zielformen verwendet werden. Im Folgenden werden die verschiedenen Kernelemente als zentrale Aspekte des Bewegens im Wasser betrachtet. Die verschiedenen Kernelemente sind dabei als jeweils spezifische Bereiche des Wassergefühls zu verstehen.
Atmen
Atmen wird hier verstanden als das bewusste Ein- und Ausatmen während des Schwimmens. Insbesondere das Ausatmen unter Wasser – gegen Widerstand – ist für viele Schüler:innen nicht selbstverständlich. Viele Technikfehler bei den verschiedenen Schwimmstilen können auf die fehlende Fähigkeit im Wasser zu atmen zurückgeführt werden. Wenn Schüler:innen «außer Atem» nach 25 Meter Kraulen am Beckenrand anschlagen, weist das oft auf eine fehlende Ausatmung unter Wasser hin und weniger auf eine fehlende Ausdauerfähigkeit. Weil die physiologische Schwierigkeit (Ausatmen unter Wasser gegen Widerstand) von vielen Lehrpersonen nicht bekannt ist, wird diesem Kernelement oft zu wenig Beachtung geschenkt. Oder den Schüler:innen wird «nur» Brustgleichschlag (Brustschwimmen) gelehrt, bei dem man bekanntlich auf das Ausatmen unter Wasser verzichten kann.
Gleiten
Das Gleiten ist im Schwimmen besonders entscheidend, weil im Gegensatz zum Element Luft, der Widerstand nur schon physikalisch eine ganz andere Bedeutung erhält. Für ein energiesparsames Schwimmen, muss demnach das Gleiten ganz speziell geübt werden. Durch das „passive“ Gleiten bekommt man das Wasser speziell zu fühlen, indem es an dem/der Schwimmer:in vorbeigleitet. Wer das Wasser nicht an seinem Körper «vorbeigleiten» spürt, der wird die Kompetenz «Schwimmen» nur ansatzweise erwerben. Wassergefühl meint die spezielle Kompetenz mit den Besonderheiten des Elements «Wasser» umgehen zu können, und diese sind wirklich speziell: Wenn man versucht, auf Wasser zu drücken, wirbelt es einfach weg. Verglichen mit dem Laufen, bei dem wir uns durch dünne Luft bewegen und uns durch Abstoßen von festem Boden vorwärtsbewegen, ist Schwimmen wie das Laufen durch einen Wackelpudding. Und weil das Wasser weder Halt noch Zugkraft bietet, ist unsere natürliche Reaktion ein turbulentes Wirbeln im Wasser, das wenig effizient ist, wenn man z.B. vorwärts kommen will…
Antreiben
Ebenfalls aus dem Wassergefühl lässt sich das Kernelement Antreiben ableiten. Darunter wird aber nebst dem Antrieb durch die Arme, auch der Antrieb durch die Hüftbewegungen und den Beinschlag verstanden. Die Kernelemente Gleiten und Antreiben zeigen sich exemplarisch beim Synchronschwimmen, wo der Körper in allen erdenklichen Körperlagen durch das Wasser bewegt werden muss. Dies geschieht hauptsächlich durch ein geschicktes Verbinden von Antrieb und Gleiten. Auch für das Antreiben gilt es ein «Wassergefühl» zu entwickeln. Im Gegensatz zum Gleiten müssen Schwimmer:innen hier aber den Widerstand im Wasser suchen, um einen möglichst effizienten Vortrieb zu erreichen. Zur Erläuterung dieses Aspekts soll nachfolgend eine Reflexionsaufgabe aus der Praxis dargestellt werden.
Fortgeschrittene Aufgabe zum Wassergefühl beim Antreiben
Material: Schleifpapier (möglichst wasserfest), Schwimmbrille
- Fahre mit deiner Handinnenfläche ganz fein über das Schleifpapier (nur eine Hand). Schwimme so eine Bahn Wechselschlag (Kraulen/Rückenkraulen).
- Wechsle die Hand oder „schleife“ beide Hände. Schwimme so nochmals zwei Längen.
- Tausche mit deiner/deinem Partner:in die gemachten Erfahrungen aus.
Die hier gemachten Erfahrungen sind unterschiedlich. Wenn zu viel «geschmirgelt» wird, dann fehlen der Handfläche die feinen Hautrillen, um das Wasser kinästhetisch und taktil wahrzunehmen. Bei einer etwas weniger ausgeprägten Reizung der Haut wird die taktile Wahrnehmung und damit das Wassergefühl gefördert. Beide Wirkungen helfen aber den Lernenden, ein gutes Wassergefühl und eine optimale Position der Handflächen zu entwickeln.
Schweben
Das Schweben zeigt sich durch eine effiziente, sprich horizontale Wasserlage. Bei diesem Kernelement deutet sich ein Übergang zu den Kernbewegungen an. Selbstverständlich kann ich durch einen guten Beinschlag mein (horizontale) Wasserlage verbessern. Wer aber z.B. in der Wassergewöhnung nie das «freie Schweben» auf dem Wasser erlebt hat, wird dieses Gefühl auch in einer Schwimmtechnik nicht erlernen. Die einfachste Übung, die auch Jugendliche und Erwachsene gerne machen, ist das «Flugzeug» auf dem Wasser. Sobald man etwas Luft ausatmet, sinkt der Körper langsam nach unten.
Aufgabe zum Wassergefühl beim Schweben
- Atme tief ein und «lege» dich mit dem Gesicht nach unten möglichst flach (wie ein Flugzeug) auf das Wasser.
- Atme zunächst wenig, dann immer kräftiger ins Wasser aus: Was passiert mit deinem Körper, den Beinen?
- Tausche mit deiner/deinem Partner:in die gemachten Erfahrungen aus.
Der Fokus auf die Kernelemente kann für die Schulung des Wassergefühls, aber auch für das konstruktive Feedback an Schüler:innen hilfreich sein. Im eigentlichen Trainings- und Übungsprozess müssen die beiden aber miteinander verbunden werden.
Literatur
Göhner, U. (1979). Zur Analyse von Bewegungsaufgaben. sportpädagogik, 2 (3), 8-13.
Messmer, R. (2013). Fachdidaktik Sport. Bern: Haupt UTB.
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Die Autoren
Roland Messmer ist Schweizer Schwimmexperte und Leiter der Professur Sport und Sportdidaktik im Jugendalter an der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Impressum
Dieses Dokument korrekt zitieren:
Redaktion: Jonas Wibowo
Illustrationen/Grafiken: Nao Matsuyama
Herausgeber: Jonas Wibowo, Christoph Walther & Janes Veit
Lektorat: K. Heinz
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